Geschichte - Dein Blut fliesst auch In Meinem
Eine Horror-Story
- Teil I -
Die scharfe Schneide der Streitaxt Mjolls bohrt sich in die dünne Holzverkleidung. Absichtlich hat sie den Hals von Brynjolf nur knapp verfehlt. Der lange Schaft der Waffe klemmt den Hals des Mannes aber so ein, das er keine Chance hat, da rauszukommen. Nicht solange die Kriegerin an seiner linken Seite steht, und die Spitze des Dolches in ihrer rechten Hand auf das männliche Edelstück weist.
Dem Stellvertreter der Diebesgilde bleibt nichts anderes übrig, als in dieser Position zu verharren. Gut, sein Lieblingsplatz im „Bienenstich“ hat damit ungewollt einen neuen Haltegriff bekommen. Worauf er aber gern verzichten würde.
Mjoll und Brynjolf haben nun die Gelegenheit das weitere Geschehen einer typischen Kneipenschlägerei zu verfolgen, deren Protagonistin eine ganz andere Kriegerin ist.
Vex schreit auf, ihr rechtes Handgelenk ist schmerzend fest umschlossen. Die Verursacherin dieser unangenehmen Haltung verdreht ihr mit schneller Bewegung den Arm. Der Unterarmknochen kann sich nicht dagegen wehren. Mit hörbaren Knacken bricht der Knochen.
Die Diebin schreit auf. Ein wahrer Tränenfluss schießt aus ihren grünen Augen.
Das Messer lässt sie augenblicklich fallen, als ob mit dem Bruch auch ihre Hand den gewohnten Halt verloren hat. Ihre linke Hand hält den schlaff an ihrer Brust liegenden Unterarm fest.
Vex hat genug, so schnell wurde sie noch nie außer Gefecht gesetzt, Angst steigt in ihr auf. Sie schaut in die hellblauen Augen der rothaarigen Kriegerin, die wie klare Diamanten gefährlich auf sie gerichtet sind. Ihr ist sie nicht gewachsen, somit geht sie langsam zurück. Ein weiterer Angriff trotz der Schmerzen wäre Selbstmord. Das verdeutlicht der Blick nur zu gut.
Doch plötzlich verzieht sich ihr Mund zu einem hinterlistiges Lächeln.Welches aber sofort in ungläubiges Staunen übergeht.
Delvin´s Vorhaben, sich an die Rothaarige von hinten heranzumachen, geht schmerzlich in Luft auf.
An und für sich war Vex ungewollte Ablenkung perfekt. Aber nicht bei dieser Kriegerin. Als ob sie auch unsichtbare Augen am Hinterkopf hätte, trifft ihre rechte Ferse, genau da, wo es bei einem Mann am meisten weh tut.
Körper und Hände machen automatisch die darauf folgende Bewegung. Die Hände wandern schnell zwischen die Beine, und der Oberkörper neigt sich nach vorn.
Er geht vor lauter Schmerzen fast in die Knie. Auch ringt er nach Luft, als ob eine unsichtbare Hand seinen Hals zudrückt. Seine Gesichtsfarbe wechselt in ein leuchtendes Rot. Plötzlich wird ihm schwarz vor den Augen und er merkt nur noch, wie er den Boden unter den Füßen verliert.
„Enigma Achtung, es kommt einer von Hinten!“, ruft Mjoll.
Die Angerufene bedurfte aber der gutgemeinten Warnung nicht. Sie hatte den schlechten Atem des Mannes schon gerochen. Aber das plötzliche Lächeln Vex´s war schon ein Zeichen genug, dass es noch nicht vorbei war. Der Tritt nach hinten traf punktgenau.
Sie schießt blitzschnell herum. Die linke Faust trifft Delvins Kinn von unten kommend. Der Schlag ist hart und perfekt geführt. Die Wucht des Uppercuts lässt den Mann über den Tresen fliegen. Er landet unsanft vor dem ängstlich dreinschauenden Talen Jei und Keerava.
Kein weiterer Angreifer oder mitspielender Schläger ist übrig. Die Rothaarige glaubt, es sei endlich vorbei.
Doch plötzlich wird die Eingangstür der Taverne aufgerissen und ein Mann stürmt herein.
Seine stürmisches Eindringen wird aber sofort abrupt gestoppt. Etwas Glitzerndes und Glänzendes fliegt an seinem linken Auge vorbei. Er spürt einen leichten Schmerz an seinem Ohr. Sein Kopf dreht sich nach links, und sein ängstlicher Blick bleibt an einem Wurfmesser haften, welches immer noch vibrierend im Rahmen der Tür steckt.
„Falls Ihr darauf aus seit, Euch an dieser Schlägerei zu beteiligen nur zu, ich werde langsam warm!“ Der Hereingestürmte dreht nun langsam den Kopf in Richtung der weiblichen Stimme und schaut in das von Spannung geprägte Gesicht der rothaarigen Kriegerin.
„Stopp! Stopp!“ sagt der Mann. „Mitnichten, habe keine Lust auf eine Prügelei! ...
Ich...Ich...Ich... suche eine Frau, namens Enigma. Bin ein Bote aus Falkenring und habe eine dringende Nachricht für die Thane von Priester Runil! ...
Die Wache sagte mir, dass ich sie hier finden würde !“
Während er das stotternd sagt, schaut er mit großen Augen durch den ramponierten Raum des Gasthauses.
„Sie haben mich gefunden!“ Langsam kommt die gesuchte Frau auf den Überbringer der Botschaft zu.
Zitternd holt er das Pergament aus seiner Pelzweste und übergibt ihr das Schreiben. Ohne ein weiteres Wort dreht er sich schnell um, rennend verlässt er die Taverne.
„Entschuldigung!“ Aber der Bote konnte dieses Bekundung nicht mehr hören. Die Tür war genauso schnell zu, wie der Mann verschwunden war. Enigma steckt den Brief zwischen Gürtel und Hosenbund. Sie wird ihn später lesen, noch hat die Kriegerin etwas zu erledigen.
Die Rothaarige kommt langsam auf Brynjolf zu, den Verursacher dieser Auseinandersetzung. Sie stellt sich vor ihm auf, während Mjoll den Dolch wegsteckt.
„Ach kommt schon meine Damen, das war nicht so gewollt. Vergessen wir einfach das Ganze!“ Er versucht eine angenehmere Standposition einzunehmen. Aber es bleibt bei dem Versuch. Enigma drückt den Schaft der Axt weiter auf den Hals. Dieser Druck verleitet den Mann nach Luft zu ringen.
„Vergessen? So einfach kommt Ihr mir nicht mehr davon. Das war nicht die erste unangenehme Begegnung mit Euresgleichen. Kommen wir endlich dazu klare Verhältnisse zwischen Eurer Gilde, Euch selbst und mir zu schaffen!“ Ihre diamantenen Augen blitzen wieder gefährlich.
Die beiden Argonier fangen zögerlich damit an, den verwüsteten Gastraum aufzuräumen. Mjoll hilft den beiden dabei.
…
Enigma ist die bestbezahlte Vampirjägerin von ganz Himmelsrand. Das Handwerk einer Jägerin hat sie von ihrem Vater gelernt. Die Dämmerwacht hat ihre hervorragenden Fähigkeiten weiter ausgebildet bis hin zur Perfektion einer Vampirjägerin. Wo immer es Probleme oder Angriffe mit Vampiren gab, die rothaarige Jägerin war meist darin involviert. Ihr Ruf eilt ihr immer voraus. Bei den Vampiren selbst lässt ihr Name mittlerweile das untote Blut erstarren.
Noch nie hatten sie einen so gnadenlosen Verfolger und unerschrockenen Gegner im Nacken.
Der letzte Auftrag sollte sie nach Rifton führen, wo ein Meister der Nacht sein Unwesen treibt. Die Order ist klar und deutlich, lebend sollte dieser Vampir die Gegend um Rifton nicht mehr verlassen.
Aber dass die Kameraden der Diebesgilde sich die Angst der Bewohner vor Vampiren zu ihrem eigenen Vorteil zu Nutze machen, das war selbst für Enigma erbärmlich und verabscheuenswürdig.
Vampire erkennt man meist, wenn diese tief vermummten Gestalten langsam durch die Straßen gehen und die Umgebung um sich schauend beobachten. Immer auf die Suche nach unvorsichtigem frischen Blut.
Diese „Reisenden“ entgehen aber nicht den scharfen und wachsamen Blicken Enigma´s.
Dieses Verhalten der Vampire wollte sich ein Dieb zu eigen machen. Dass er damit der erfahrenen Jägerin in den Fokus geriet, merkte er nicht. Diese Dummheit musste er mit dem Leben bezahlen, noch bevor er sich an einem unvorsichtigen Anwohner zu schaffen machen konnte.
Ein gut geführter Schwertstreich enthauptete den Dieb, noch bevor er sein Handwerk ausführen konnte.
Dass die Jägerin dabei aber nur einen Dieb, einen Menschen und nicht ein Vampir getötet hatte, ging an ihre Schmerzgrenze.
Ihre Natur, ihre Berufung die Menschen vor diesen Monstern zu schützen, wurde damit auf eine extrem harte Probe gestellt. Auch wenn sie nicht wusste, dass es nur ein Beutelschneider war, war dies für die erfahrene Kriegerin ein sinnlos getöteter Mensch.
Eine unbändige Wut stieg in Ihr auf, entsetzt davon zu welchen Mitteln die Diebesgilde greift, um ihrem Handwerk zu frönen. Das war zu viel für sie, und das wollte sie mit Brynjolf eigentlich friedlich klären, nur wenn es sein musste mit schlagkräftigen Argumenten.
Den Wachen war es egal und sie bedankten sich bei ihr. Ein Dieb weniger, um den sie sich hätten kümmern müssen. Diese Antwort war Grund genug Brynjolf in seinem Stammlokal aufzusuchen.
Dass es dabei zu einer regelrechten Schlägerei ausartete, war nicht vorauszuahnen. Der Stellvertreter der Diebesgilde war nicht allein anwesend. Seine Partner Vex und Delvin waren auch im „Bienenstich“.
Mjoll, eine gute Freundin und Gegnerin dieser heruntergekommenen Gemeinschaft von Dieben saß am Tresen, nicht ahnend was hier gleich passieren würde.
Die Herrschaften dieser Gilde waren nicht begeistert davon, dass sie schon wieder ein Mitglied ihrer mittlerweile sehr dezimierten Gemeinschaft verloren haben. Sie wussten dass die Jägerin kommen würde, nicht nur weil diese hier ein Zimmer hat.
Der Disput war von vornherein angespannt und es würde nicht lange dauern, bis es zu Handgreiflichkeiten kommen würde.
Mjoll war auf Enigmas Seite und auch sofort bereit ihr zu helfen. Auch sie ahnte, dass es nicht friedlich ausgehen würde. Während der Auseinandersetzung kümmerte sich die junge Kriegerin um den Stellvertreter. Er war der Einzige, der noch nicht die Bekanntschaft mit Enigmas schlagkräftigen Argumenten gemacht hatte. Noch nicht!
„Dass Euer Kumpel tot ist, tut mir wirklich leid. Aber im Endeffekt war es seine eigene Blödheit, oder habt Ihr ihm diese Flausen, als Vampir umherzuschleichen, beigebracht?“
Enigmas Worte sind scharf ausgesprochen.
„Ich weiß gar nicht, wovon Ihr redet. Eigentlich ist er selber schuld, wenn er sich dabei erwischen lässt. Das passiert eben bei diesem Geschäft!“ versucht der Stellvertreter sich herauszuwinden.
„Euer Pack und Ihr ekelt mich an. Schlimm genug, dass die Menschen Angst vor Bestien haben, denen es egal ist, wem sie umbringen. Und Eure Gemeinschaft nutzt diese Angst auch noch schamlos aus. Ihr seid es nicht wert, dass ich mir an Euch die Hände schmutzig mache. Eigentlich solltet Ihr tot auf dem Markt liegen und nicht dieser arme Verblendete.
Macht dass Ihr hier verschwindet, bevor ich meine Manieren vergesse und meine Wut an Euch auslasse. Vergesst Eure Freunde dabei nicht!“ Sie befreit angewidert Brynjolf von der Axt. Der Mann geht schnell an ihr vorbei und fordert Vex und Delvin der sich mittlerweile wieder von dem Kinnhaken erholt hat, auf ihm zu folgen. Ohne weitere Zwischenfälle oder Worte verlassen die drei die Taverne.
Enigma übergibt Mjoll ihre Waffe. Sie wendet sich zu Keerava und gibt ihr einen kleinen Goldbeutel.
„Entschuldigt das Ganze! Es tut mir leid, dass ich meine Wut hier in Euren Geschäft ausgelassen habe!“ Die Besitzerin des „Bienenstich“ erkennt, dass die Kriegerin es auch ernst meint.
„Danke für Eure Entschädigung, aber das war nicht nötig, das sind wir schon gewohnt. Das kommt ziemlich oft vor und immer dann, wenn das „Irrenhaus“ der Diebesgilde Ausgang hat. Ich fand es trotzdem sehr amüsant, wie Ihr mit den Bossen dieser Gilde umgegangen seid. Wurde mal Zeit, dass sich jemand dieser Idioten annimmt.
Mjoll schafft es halt nicht immer allein. Aber Ihr seid wirklich aus einem ganz anderen Holz. So seht Ihr gar nicht aus, Respekt Vampirjägerin!“ Lächelnd nimmt sie aber gern das kleine Säckchen an.
„Wenn wir hier fertig sind, bekommt Ihr Speise und Trank, geht aufs Haus! Mjoll das trifft auch für Dich zu!“ ruft sie der jungen Kriegerin zu.
„Vielen Dank, aber ich muss zu meinem Verlobten, der macht sich sicherlich schon Sorgen wo ich bleibe. Ihr kennt ihn ja!“ Dankend lehnt Mjoll die Einladung ab. Sie verabschiedet sich von ihrer Freundin und verlässt ebenfalls die Taverne.
Enigma setzt sich derweil an die Theke und hat nun Zeit die Nachricht aus ihrer Heimat zu lesen. Die Botschaft passt zu ihrer schlechten Laune, denn sie enthält schreckliche Nachrichten, die sie persönlich betreffen.
Dem Stellvertreter der Diebesgilde bleibt nichts anderes übrig, als in dieser Position zu verharren. Gut, sein Lieblingsplatz im „Bienenstich“ hat damit ungewollt einen neuen Haltegriff bekommen. Worauf er aber gern verzichten würde.
Mjoll und Brynjolf haben nun die Gelegenheit das weitere Geschehen einer typischen Kneipenschlägerei zu verfolgen, deren Protagonistin eine ganz andere Kriegerin ist.
Vex schreit auf, ihr rechtes Handgelenk ist schmerzend fest umschlossen. Die Verursacherin dieser unangenehmen Haltung verdreht ihr mit schneller Bewegung den Arm. Der Unterarmknochen kann sich nicht dagegen wehren. Mit hörbaren Knacken bricht der Knochen.
Die Diebin schreit auf. Ein wahrer Tränenfluss schießt aus ihren grünen Augen.
Das Messer lässt sie augenblicklich fallen, als ob mit dem Bruch auch ihre Hand den gewohnten Halt verloren hat. Ihre linke Hand hält den schlaff an ihrer Brust liegenden Unterarm fest.
Vex hat genug, so schnell wurde sie noch nie außer Gefecht gesetzt, Angst steigt in ihr auf. Sie schaut in die hellblauen Augen der rothaarigen Kriegerin, die wie klare Diamanten gefährlich auf sie gerichtet sind. Ihr ist sie nicht gewachsen, somit geht sie langsam zurück. Ein weiterer Angriff trotz der Schmerzen wäre Selbstmord. Das verdeutlicht der Blick nur zu gut.
Doch plötzlich verzieht sich ihr Mund zu einem hinterlistiges Lächeln.Welches aber sofort in ungläubiges Staunen übergeht.
Delvin´s Vorhaben, sich an die Rothaarige von hinten heranzumachen, geht schmerzlich in Luft auf.
An und für sich war Vex ungewollte Ablenkung perfekt. Aber nicht bei dieser Kriegerin. Als ob sie auch unsichtbare Augen am Hinterkopf hätte, trifft ihre rechte Ferse, genau da, wo es bei einem Mann am meisten weh tut.
Körper und Hände machen automatisch die darauf folgende Bewegung. Die Hände wandern schnell zwischen die Beine, und der Oberkörper neigt sich nach vorn.
Er geht vor lauter Schmerzen fast in die Knie. Auch ringt er nach Luft, als ob eine unsichtbare Hand seinen Hals zudrückt. Seine Gesichtsfarbe wechselt in ein leuchtendes Rot. Plötzlich wird ihm schwarz vor den Augen und er merkt nur noch, wie er den Boden unter den Füßen verliert.
„Enigma Achtung, es kommt einer von Hinten!“, ruft Mjoll.
Die Angerufene bedurfte aber der gutgemeinten Warnung nicht. Sie hatte den schlechten Atem des Mannes schon gerochen. Aber das plötzliche Lächeln Vex´s war schon ein Zeichen genug, dass es noch nicht vorbei war. Der Tritt nach hinten traf punktgenau.
Sie schießt blitzschnell herum. Die linke Faust trifft Delvins Kinn von unten kommend. Der Schlag ist hart und perfekt geführt. Die Wucht des Uppercuts lässt den Mann über den Tresen fliegen. Er landet unsanft vor dem ängstlich dreinschauenden Talen Jei und Keerava.
Kein weiterer Angreifer oder mitspielender Schläger ist übrig. Die Rothaarige glaubt, es sei endlich vorbei.
Doch plötzlich wird die Eingangstür der Taverne aufgerissen und ein Mann stürmt herein.
Seine stürmisches Eindringen wird aber sofort abrupt gestoppt. Etwas Glitzerndes und Glänzendes fliegt an seinem linken Auge vorbei. Er spürt einen leichten Schmerz an seinem Ohr. Sein Kopf dreht sich nach links, und sein ängstlicher Blick bleibt an einem Wurfmesser haften, welches immer noch vibrierend im Rahmen der Tür steckt.
„Falls Ihr darauf aus seit, Euch an dieser Schlägerei zu beteiligen nur zu, ich werde langsam warm!“ Der Hereingestürmte dreht nun langsam den Kopf in Richtung der weiblichen Stimme und schaut in das von Spannung geprägte Gesicht der rothaarigen Kriegerin.
„Stopp! Stopp!“ sagt der Mann. „Mitnichten, habe keine Lust auf eine Prügelei! ...
Ich...Ich...Ich... suche eine Frau, namens Enigma. Bin ein Bote aus Falkenring und habe eine dringende Nachricht für die Thane von Priester Runil! ...
Die Wache sagte mir, dass ich sie hier finden würde !“
Während er das stotternd sagt, schaut er mit großen Augen durch den ramponierten Raum des Gasthauses.
„Sie haben mich gefunden!“ Langsam kommt die gesuchte Frau auf den Überbringer der Botschaft zu.
Zitternd holt er das Pergament aus seiner Pelzweste und übergibt ihr das Schreiben. Ohne ein weiteres Wort dreht er sich schnell um, rennend verlässt er die Taverne.
„Entschuldigung!“ Aber der Bote konnte dieses Bekundung nicht mehr hören. Die Tür war genauso schnell zu, wie der Mann verschwunden war. Enigma steckt den Brief zwischen Gürtel und Hosenbund. Sie wird ihn später lesen, noch hat die Kriegerin etwas zu erledigen.
Die Rothaarige kommt langsam auf Brynjolf zu, den Verursacher dieser Auseinandersetzung. Sie stellt sich vor ihm auf, während Mjoll den Dolch wegsteckt.
„Ach kommt schon meine Damen, das war nicht so gewollt. Vergessen wir einfach das Ganze!“ Er versucht eine angenehmere Standposition einzunehmen. Aber es bleibt bei dem Versuch. Enigma drückt den Schaft der Axt weiter auf den Hals. Dieser Druck verleitet den Mann nach Luft zu ringen.
„Vergessen? So einfach kommt Ihr mir nicht mehr davon. Das war nicht die erste unangenehme Begegnung mit Euresgleichen. Kommen wir endlich dazu klare Verhältnisse zwischen Eurer Gilde, Euch selbst und mir zu schaffen!“ Ihre diamantenen Augen blitzen wieder gefährlich.
Die beiden Argonier fangen zögerlich damit an, den verwüsteten Gastraum aufzuräumen. Mjoll hilft den beiden dabei.
…
Enigma ist die bestbezahlte Vampirjägerin von ganz Himmelsrand. Das Handwerk einer Jägerin hat sie von ihrem Vater gelernt. Die Dämmerwacht hat ihre hervorragenden Fähigkeiten weiter ausgebildet bis hin zur Perfektion einer Vampirjägerin. Wo immer es Probleme oder Angriffe mit Vampiren gab, die rothaarige Jägerin war meist darin involviert. Ihr Ruf eilt ihr immer voraus. Bei den Vampiren selbst lässt ihr Name mittlerweile das untote Blut erstarren.
Noch nie hatten sie einen so gnadenlosen Verfolger und unerschrockenen Gegner im Nacken.
Der letzte Auftrag sollte sie nach Rifton führen, wo ein Meister der Nacht sein Unwesen treibt. Die Order ist klar und deutlich, lebend sollte dieser Vampir die Gegend um Rifton nicht mehr verlassen.
Aber dass die Kameraden der Diebesgilde sich die Angst der Bewohner vor Vampiren zu ihrem eigenen Vorteil zu Nutze machen, das war selbst für Enigma erbärmlich und verabscheuenswürdig.
Vampire erkennt man meist, wenn diese tief vermummten Gestalten langsam durch die Straßen gehen und die Umgebung um sich schauend beobachten. Immer auf die Suche nach unvorsichtigem frischen Blut.
Diese „Reisenden“ entgehen aber nicht den scharfen und wachsamen Blicken Enigma´s.
Dieses Verhalten der Vampire wollte sich ein Dieb zu eigen machen. Dass er damit der erfahrenen Jägerin in den Fokus geriet, merkte er nicht. Diese Dummheit musste er mit dem Leben bezahlen, noch bevor er sich an einem unvorsichtigen Anwohner zu schaffen machen konnte.
Ein gut geführter Schwertstreich enthauptete den Dieb, noch bevor er sein Handwerk ausführen konnte.
Dass die Jägerin dabei aber nur einen Dieb, einen Menschen und nicht ein Vampir getötet hatte, ging an ihre Schmerzgrenze.
Ihre Natur, ihre Berufung die Menschen vor diesen Monstern zu schützen, wurde damit auf eine extrem harte Probe gestellt. Auch wenn sie nicht wusste, dass es nur ein Beutelschneider war, war dies für die erfahrene Kriegerin ein sinnlos getöteter Mensch.
Eine unbändige Wut stieg in Ihr auf, entsetzt davon zu welchen Mitteln die Diebesgilde greift, um ihrem Handwerk zu frönen. Das war zu viel für sie, und das wollte sie mit Brynjolf eigentlich friedlich klären, nur wenn es sein musste mit schlagkräftigen Argumenten.
Den Wachen war es egal und sie bedankten sich bei ihr. Ein Dieb weniger, um den sie sich hätten kümmern müssen. Diese Antwort war Grund genug Brynjolf in seinem Stammlokal aufzusuchen.
Dass es dabei zu einer regelrechten Schlägerei ausartete, war nicht vorauszuahnen. Der Stellvertreter der Diebesgilde war nicht allein anwesend. Seine Partner Vex und Delvin waren auch im „Bienenstich“.
Mjoll, eine gute Freundin und Gegnerin dieser heruntergekommenen Gemeinschaft von Dieben saß am Tresen, nicht ahnend was hier gleich passieren würde.
Die Herrschaften dieser Gilde waren nicht begeistert davon, dass sie schon wieder ein Mitglied ihrer mittlerweile sehr dezimierten Gemeinschaft verloren haben. Sie wussten dass die Jägerin kommen würde, nicht nur weil diese hier ein Zimmer hat.
Der Disput war von vornherein angespannt und es würde nicht lange dauern, bis es zu Handgreiflichkeiten kommen würde.
Mjoll war auf Enigmas Seite und auch sofort bereit ihr zu helfen. Auch sie ahnte, dass es nicht friedlich ausgehen würde. Während der Auseinandersetzung kümmerte sich die junge Kriegerin um den Stellvertreter. Er war der Einzige, der noch nicht die Bekanntschaft mit Enigmas schlagkräftigen Argumenten gemacht hatte. Noch nicht!
„Dass Euer Kumpel tot ist, tut mir wirklich leid. Aber im Endeffekt war es seine eigene Blödheit, oder habt Ihr ihm diese Flausen, als Vampir umherzuschleichen, beigebracht?“
Enigmas Worte sind scharf ausgesprochen.
„Ich weiß gar nicht, wovon Ihr redet. Eigentlich ist er selber schuld, wenn er sich dabei erwischen lässt. Das passiert eben bei diesem Geschäft!“ versucht der Stellvertreter sich herauszuwinden.
„Euer Pack und Ihr ekelt mich an. Schlimm genug, dass die Menschen Angst vor Bestien haben, denen es egal ist, wem sie umbringen. Und Eure Gemeinschaft nutzt diese Angst auch noch schamlos aus. Ihr seid es nicht wert, dass ich mir an Euch die Hände schmutzig mache. Eigentlich solltet Ihr tot auf dem Markt liegen und nicht dieser arme Verblendete.
Macht dass Ihr hier verschwindet, bevor ich meine Manieren vergesse und meine Wut an Euch auslasse. Vergesst Eure Freunde dabei nicht!“ Sie befreit angewidert Brynjolf von der Axt. Der Mann geht schnell an ihr vorbei und fordert Vex und Delvin der sich mittlerweile wieder von dem Kinnhaken erholt hat, auf ihm zu folgen. Ohne weitere Zwischenfälle oder Worte verlassen die drei die Taverne.
Enigma übergibt Mjoll ihre Waffe. Sie wendet sich zu Keerava und gibt ihr einen kleinen Goldbeutel.
„Entschuldigt das Ganze! Es tut mir leid, dass ich meine Wut hier in Euren Geschäft ausgelassen habe!“ Die Besitzerin des „Bienenstich“ erkennt, dass die Kriegerin es auch ernst meint.
„Danke für Eure Entschädigung, aber das war nicht nötig, das sind wir schon gewohnt. Das kommt ziemlich oft vor und immer dann, wenn das „Irrenhaus“ der Diebesgilde Ausgang hat. Ich fand es trotzdem sehr amüsant, wie Ihr mit den Bossen dieser Gilde umgegangen seid. Wurde mal Zeit, dass sich jemand dieser Idioten annimmt.
Mjoll schafft es halt nicht immer allein. Aber Ihr seid wirklich aus einem ganz anderen Holz. So seht Ihr gar nicht aus, Respekt Vampirjägerin!“ Lächelnd nimmt sie aber gern das kleine Säckchen an.
„Wenn wir hier fertig sind, bekommt Ihr Speise und Trank, geht aufs Haus! Mjoll das trifft auch für Dich zu!“ ruft sie der jungen Kriegerin zu.
„Vielen Dank, aber ich muss zu meinem Verlobten, der macht sich sicherlich schon Sorgen wo ich bleibe. Ihr kennt ihn ja!“ Dankend lehnt Mjoll die Einladung ab. Sie verabschiedet sich von ihrer Freundin und verlässt ebenfalls die Taverne.
Enigma setzt sich derweil an die Theke und hat nun Zeit die Nachricht aus ihrer Heimat zu lesen. Die Botschaft passt zu ihrer schlechten Laune, denn sie enthält schreckliche Nachrichten, die sie persönlich betreffen.
Werte Enigma!
Komm bitte schnell nach Falkenring.
Etwas Schreckliches ist passiert.
Deine Familie und Dein Mann wurden von einem Werwolf angegriffen und regelrecht zerfetzt.
Da war kein Leben mehr zu retten.
Dein Bruder Jorgens wurde festgenommen, weil er der Werwolf ist.
In ein paar Tagen soll er hingerichtet werden.
Bitte komm schnell hierher!
Komm bitte schnell nach Falkenring.
Etwas Schreckliches ist passiert.
Deine Familie und Dein Mann wurden von einem Werwolf angegriffen und regelrecht zerfetzt.
Da war kein Leben mehr zu retten.
Dein Bruder Jorgens wurde festgenommen, weil er der Werwolf ist.
In ein paar Tagen soll er hingerichtet werden.
Bitte komm schnell hierher!
Priester Runil
Es ist mittlerweile der Abend angebrochen. Enigma ist immer noch in Gedanken versunken ob der entsetzlichen Nachricht. Aber ihre Sinne sind stets wachsam. So bemerkt sie die dunkel verhüllte Gestalt, die aus dem Schatten der Taverne springt. Ihre linke Hand schießt blitzschnell in die Richtung des Angriffs. Mit der Hand am Hals, wird der Angriff des Vampirs drastisch gestoppt. Sein Mund öffnet sich schmerzverzerrt und die weißen Fangzähne blitzen im Schein der Fackel. Er war nicht mehr fähig sich zu rühren. Das Silber zeigt seine vernichtene Wirkung.
Die silbernen Fingerkuppen an den schwarzen Handschuhen der Jägerin, die wie scharfe lange Klauen aussehen, graben sich tiefer in den Hals des Blutsaugers hinein. Weißer Rauch steigt aus den Wunden und das Röcheln des Angreifers wird stetig lauter.
Durch den Rauch steigen kleine kalte Flammen aus dem Hals. Enigma drückt weiter zu. Das silberne Gift steigt dem Vampir in den Kopf. Seine blutroten Augen drohen aus den Augenhöhlen zu springen. Doch kurze Zeit später geht sein Kopf in Flammen auf und zerplatzt mit lauten Knall.
Weiße Asche und kleine Knochenreste rieseln an ihrer Hand herunter. Damit ist ihr Auftrag auf ungewollte und überraschender Weise erledigt. Der Meister der Nacht wird Rifton nicht weiter behelligen.
Der Körper des Vampirs war schon längst auf den Boden gefallen, doch verharrt sie immer noch in dieser Stellung und blickt geistesabwesend in den Abendhimmel.
Der Ritt nach Falkenring war rasant. Enigma nahm keine Rücksicht. Frost hat weiße Schaumspuren am ganzen Körper. Nichts konnte sie aufhalten. Keine wilde Bestie oder übermütiger Wegelagerer hatte eine Chance, die Jägerin vom Pferd zu holen. Kaum war sie zu sehen, schoß das ungleiche Paar an den überraschten Gegnern vorbei. Abgeschossene Pfeile flogen an ihr vorbei oder erreichten gar nicht erst das Ziel. Enigma selbst schenkte dem keinerlei Beachtung. Zu stark waren ihre Gedanken auf die Heimat gerichtet. Frost ist vollkommen außer Atem, als man die kleine Stadt auf der anderen Seite des Gebirgsmassiv erreicht hat. Kleine Schaumflocken verlassen seinen nassen Körper. Er zittert. Der Schimmel ist schon oft hart getrieben worden, aber dieser Ritt war für ihn eine Tortur. Die Sehnsucht nach Ruhe und Erholung ist in seinen müden Augen zu erkennen. Aber noch steigt seine Reiterin nicht ab.
Enigma zögert. Das Zittern ihres Pferdes geht auch auf sie über. Ein Streicheln der Entschuldigung und Beruhigung an seinem Hals ebnet etwas die aufgewühlten Emotionen ab.
Es tut ihr leid, dass sie ihren Liebling so getrieben hat. Doch auch in ihr wächst ein Unbehagen. Gedanken des Umdrehens kommen hoch. Sie hat Angst vor der Wahrheit. Sie kann nicht glauben was geschehen sein soll.
Ihr Bruder ein Werwolf, soll Vater, Mutter und ihren Mann getötet haben. Eingesperrt, in der Erwartung des Henkers.
Sie würde jetzt zu gern sofort umdrehen und wieder weg reiten. Nur was würde es bringen. Ihre Liebsten sind tot. Mit jeder Rückkehr würde diese Tatsache ständig und schmerzlich offenbart werden. Und einfach abhauen wäre gegen ihre Natur. Zu sehr ist der Wille da zu erfahren, was hier los ist. Sie will und muss die Gewissheit haben.
Die Sonne senkt sich langsam hinter die westlichen Berge. Es sind wenige Einwohner zu sehen. Auch sieht sie, dass die Wachen verdreifacht wurden. Obwohl sie noch hundert Meter vor der Ansiedlung steht, strahlt Falkenring Angst und Unbehagen aus. Die Ruhe ist trügerisch.
Enigma steigt langsam ab. Frost streichelnd, ein Stück Zucker gebend, dabei seine Nüstern zärtlich küssend nimmt sie die Zügel in die Hand.
Mit langsamen zögerlichen Schritten nähert sie sich ihrem Geburtsort. Sie spürt die wachsamen Augen der Soldaten auf ihr liegen. Auch in ihren Augen ist die Angst vor einem unheimlichen Gegner abzulesen.
Werwölfe sind extrem gefährliche Bestien. Einmal von solch einem Ungetier verletzt oder gebissen, ist der Keim gesetzt. Wie die Vampire sind auch sie getrieben von frischem Blut und einem Heißhunger nach rohem Fleisch.
Mit den Blutsaugern kamen auch die Werwölfe. Die Vampire sind Molag Bals Schöpfung während die Werwölfe zu Hircine gehören.
Diese Monster verwandeln sich bei Vollmond in grauenvolle Untiere und fallen jedes Leben an. Man erkennt an diesen Wandlern nicht, was in ihnen steckt. Bei der Rückverwandlung in normale Menschen sind sie wieder wie jeder andere. Doch die unmenschliche Kraft und veränderte Gesinnung bleibt. Nur wer das Wesen der Werwölfe kennt kann spüren, dass bei diesem Menschen etwas nicht stimmt.
Gerüchten zufolge soll es einen geheimen Bund von Werwölfen in Weißlauf geben, denen die „Silberne Hand“ auf den Fersen ist.
Enigma selbst hat noch nie einen Werwolf gesehen. Das wäre ihre erste Begegnung. Das Schlimme war nur, es sollte ihr geliebter Bruder sein. Ihr Herz verkrampft sich schmerzvoll, als sie weiter in Richtung Totenhalle geht.
Ein paar Einwohner verrichten noch die letzten Tätigkeiten ihrer Tagesarbeit. Auch in der Stadt selbst sind mehr schwer bewaffnete Wachen unterwegs. Die Kleinstadt gleicht mehr einer Militärbasis, als einem friedlichen und ruhigen Ort.
Sie erreicht die Totenhalle und das Domizil des Priesters Runil, des Absenders der schrecklichen Nachricht.
Aber sie bleibt vor dem Eingang stehen. Sie braucht nur die Tür zu öffnen aber ihre Hand verharrt auf der Klinke. Sie geht zurück und lehnt sich am dicken Pfosten des Vorbaus an. Ihr Blick schweift in Richtung Friedhof. Sie kann drei frische Gräber sehen. Ihr Herz verkrampft sich noch mehr. Sie fühlt die bittere Wahrheit, das da welche begraben sind, die die junge Frau sehr liebt.
„Endlich bist Du da, Enigma!“ Mit mitleidvollen Gesichtsausdruck begrüßt Priester Runil die eben eingetretene Frau.
„Wann ist das alles passiert?“ Enigma kommt gleich zum Punkt.
„Vor vier Tagen. …
Mein Gehilfe Kust kam da Abends in den „Totmannstrunk“ gerannt und berichtete von dem schrecklichen Vorfall auf den Anwesen Deiner Eltern. Alle seien bestialisch umgebracht worden. Jorgens wurde dabei erwischt, als er sich noch an Deinem Mann zu schaffen machte. Es waren mehrere Soldaten nötig um ihn festzunehmen. Als ich dann in das Haus ging, um den Toten die letzte Ölung zu geben, konnte ich mich auch von den ganzen Ausmaß dieser unglaublichen Tat überzeugen. Es wurde mir regelrecht schlecht, als ich das sah. Das ganze Blut, die zerfetzten Körper, einfach nur schrecklich. Es tut mir so leid mein Kind!“
„Und wann wurden sie begraben? Ich habe die drei frischen Gräber eben gesehen.“ Die Jägerin ist immer noch sichtlich geschockt von dem Bericht des Anhängers von Arkay.
Unglaube, Entsetzen, Wut und Trauer schießen wie heiße Wellen durch ihren Körper. Warum sollte Runil sie auch anlügen, die Tatsachen liegen klar auf der Hand.
Er kennt Enigma´s Familie seit Ewigkeiten. Er hat ihren Bruder und sie getauft, war bei ihrer Hochzeit dabei. Immer wenn es Probleme gab, konnte die Jägerin zu ihm kommen.
„Gleich am nächsten Tag. Nur in geweihtem Boden können diese geschändeten Seelen Ruhe finden. Der Jarl, Dein Schwiegervater selbst hatte dies sofort angeordnet. Auch dass in sieben Tagen Dein Bruder hingerichtet werden soll. Du weißt, was Einem dabei geschehen wird!
Was für eine Tragödie!“ Runil hebt die Arme und spricht leise ein Gebet.
Die junge Frau hat schon einige Male solche blutigen Hinrichtungen gesehen. Am Ende wird der Leichnam noch verbrannt.
„Wann immer Du reden möchtest, ich bin für Dich da, mein Kind!“ Tröstend legt der Priester beide Hände auf ihre Schultern.
„Danke, das weiß ich. Aber nicht jetzt!“ Sie verabschiedet sich von ihm, und verlässt die Totenhalle.
In ihr wächst der Wunsch zu den Gräbern zu gehen. Aber diese unglaubliche Situation hält sie zurück. Sie setzt sich auf eine Mauer und versinkt in Gedanken. Die Frau kann es immer noch nicht glauben. In ihr bricht eine Welt zusammen. Jeder den sie liebte, wurde aus ihrem Leben gerissen. Auch der geliebte Bruder wird sterben. Das ist eine unumstößliche Erkenntnis. Auch kennt niemand eine Möglichkeit, diese Krankheit zu kurieren. Aber was würde das auch bringen? Ob Bestie oder Mensch, er hat gemordet. Und das wird hart bestraft. Mit dem Tod! Das ist Himmelsrand! In ihr laufen Bilder ab, Erinnerungen an das glückliche Leben, dass sie vor diesen entsetzlichen Ereignissen hatte. Mit einem Schlag ist das alles vorbei. Enigma kann es einfach nicht begreifen, dass ihr Bruder zu so etwas fähig sein soll.
Er hatte noch nie jemandem weh getan. Diese bestialische Wandlung kann sie sich bei ihm einfach nicht vorstellen. Seit wann ist ihr Bruder ein Werwolf? Wer hat ihn dazu gemacht? Diese Antwort wird wohl ein dunkles Geheimnis bleiben. Es sei denn, Jorgens sagt es ihr.
Die Nacht bricht an. Enigma geht langsam zu den Gräbern. Als ob es für sie die entsprechende Zeit wäre Abschied zu nehmen. Doch darauf, sich auf diese Art und Weise zu verabschieden, hätte die junge Frau allzu gern verzichtet. Sie fällt bei den Gräbern auf die Knie.
Die Jägerin kann nicht verstehen, warum gerade sie sterben mussten.
„Bruder!...Was hast du getan ?“ Sie kann nicht weinen. Immer noch versperrt der Unglaube den freien Lauf der Tränen. Die Trauernde weiß nicht, was sie machen soll. Ein Leben ohne ihre Liebsten kann sie sich einfach nicht vorstellen. Das Leben kann oft so sinnlos sein.
„Wo auch immer ihr seid, verzeiht eurem Sohn und Freund! Denn dieses Unheil wollte Jorgens mit Sicherheit nicht! Das glaub ich einfach nicht, dass das gewollt war!“ Enigma schwankt zwischen Mitleid und Hass. Sie hat oft dem Tod in die Augen schauen müssen. Ihr Handwerk ist ja damit verbunden. Doch dieses unsinnige Töten ist etwas, was sie nie verstehen kann und will.
Bei diesem Gedanken, kommen in ihr Erinnerungen an den Dieb zurück. Hatte sie nicht auch ihn einfach getötet?
Der Umstand des Warum, befreit sie nicht von dieser Tat. Ihr Gespür hätte eigentlich sagen müssen, das das kein Vampir war. Ein voreiliges Handeln brachte einem Menschen den Tod. Auch wenn sein Handeln nicht den Gesetzen entsprach. Sie fühlt sich elend und leer. Enigma berührt nacheinander die Grabsteine ihrer Liebsten. Sie nimmt leise und gequält Abschied. Am Stein ihres Mannes verharrt sie wie angewurzelt. Ihre linke Hand berührt ihren Unterleib. Noch kann sie das neue Leben, dass in ihr wächst nicht spüren. Aber es ist da und fühlbar.
„Es tut mir so leid, mein Schatz! Ein Sprichwort sagt: Ein Leben geht, ein neues wird geboren. Das ist der Kreislauf der Natur! Aber doch nicht so! Damit wirst du nie erfahren, das ich schwanger bin! Ich schwöre dir, wenn es ein Junge werden sollte, wird er deinen Namen tragen!“
Die Strahlen der Morgensonne berühren sanft die am Grab ihres Mannes liegende Frau. Leicht erschreckt wacht sie auf. Enigma hat nicht einmal gemerkt, dass sie ganz nah am Grabstein ihres Ehemannes eingeschlafen war. Die durch den Schlaf unterbrochene Trauer kehrt mit unbarmherziger Macht zurück. Sie will nicht aufstehen. Will nur so in der Nähe ihres Geliebten liegen bleiben, als ob er bei ihr wäre.
Während sie in dieser Lage verharrt, sucht sie nach einer Lösung, wie es nun weitergehen soll.
„Ich muss mit meinem Bruder reden, ob es nun Sinn macht oder nicht! Er wird sich für seine Tat verantworten müssen. Auch wenn er dabei sterben wird, das ist die Realität. Aber vielleicht gibt es eine Chance, dass er als Mensch stirbt und nicht als Bestie!“ Mit diesen leise ausgesprochenen Gedanken, steht sie auf. Aber ob ihr nicht gerade unbeträchtlicher Einfluss in Falkenring reicht, die Hinrichtung hinauszuzögern, kann sie bei solch einem Verbrechen schwer einschätzen. Auch wenn der Jarl, ihr Schwiegervater, stets wohlgesonnen war und ist, kann er sich nicht gegen die Gesetze des Landes, des Kaisers stellen. Diese Bitte um Aufschub wird ein schwieriges Unterfangen, das ist ihr vollkommen klar.
„Er muss mir einfach die Chance geben, meinen Bruder zumindest zu kurieren!“ Entschlossen, aber trotzdem langsam geht sie in Richtung Kaserne. Sie bleibt aber noch einmal kurz stehen, dreht sich um und blickt zurück zum Friedhof. Mit gesenktem Haupt geht sie nach kurzer Zeit weiter. Sie weiß, dass die Gefährten in Weißlauf sich mit Werwölfen auskennen. Vielleicht wissen sie eine Möglichkeit, wie man Jorgens von dem Wesen des Wolfes befreien kann. Das ist das Einzige, was sie für ihn tun kann. Wenn ihr Bruder schon sterben muss, dann wenigstens mit befreiter Seele. Je näher Enigma dem Kasernengebäude kommt, um so schwerer wird ihr Schritt. Die wenigen Einwohner, die langsam aus ihren Häusern kommen, aber auch die Wachen schauen ihr mitleidig nach.
Schmerzvolle Bedrücktheit steigt in ihr auf. Vermischt mit Angst, ihrem Bruder gegenüberzutreten. Zweifel tauchen auf, ob er überhaupt noch mit ihr reden will. Ob er ihr die Wahrheit erzählt, warum er das getan hat. Andererseits widerstrebt es ihr, sich diese Geschichte überhaupt anzuhören. Sie öffnet die schwere Eingangstür zum Kasernentrakt. Der Eingang zum Verlies ist nur ein paar Schritte gegenüber. Langsam steigt sie die Treppe zum Gefängniskeller hinunter, mit flauem Gefühl im Magen. Auch wenn der Umstand des Wiedersehens unpassend ist, möchte sie zu gern ihren Bruder sehen. Als sie dessen Tor öffnet kommt ihr muffiger, nach kaltem Schweiß riechender Geruch entgegen. Sie wundert sich, dass nur ein ihr bekannter Soldat hier Wache hält. Bei solch einem Gefangenen hätte sie mit mehr Wachen gerechnet.
„Sei gegrüßt Holgar! Wie geht es Dir!“ Die angesprochene Wache nimmt dankend die Begrüßung entgegen.
„Guten Morgen Enigma! Nicht besonders! Dein Bruder jagt mir regelrechte Furcht ein. Dass gerade ich ihn bewachen muss, ist schon schwer genug. Er steht seit Tagen wie festgewurzelt an der selben Stelle, sagt kein Wort! Keine Regung! Wirklich unheimlich!“
Enigma kann ihn gut verstehen. Auch kann sie sich nicht vorstellen, dass eine Wache einen Werwolf aufhalten könnte.
„Ich muss mit meinem Bruder reden! Lass mich bitte zu ihm!“
Erschrocken schaut Holgar sie an. „Ich weiß nicht so recht, ob das eine gute Idee ist! Wenn etwas passiert, werde ich an seiner Stelle hingerichtet!“
„Er wird mir schon nichts tun, das spüre ich! Er ist doch mein Bruder!“
„Ja schon, aber was ist mit Eurer Familie, das hat ihn auch nicht zurück gehalten. Das ist mir zu riskant, das kann ich nicht machen!“
„Ach komm schon, Du kennst mich doch! Ich kann mich meiner Haut schon erwehren! Und Du bist ja auch noch da, was will Jorgens da schon ausrichten. Keine Angst, ich pass schon auf. Bitte! Ich muss die Wahrheit wissen!“
„Ich weiß nicht recht! Du weißt schon, dass er ein Werwolf, eine Bestie ist. Das ist mir zu gefährlich. Das Risiko ist einfach zu hoch. Ich würde es mir nie verzeihen können, wenn auch noch Dir etwas Schreckliches passieren würde!“
„Es ist doch früh am Morgen. Nur bei Vollmond verwandeln sich Menschen in diese Untiere! Bitte! Mir wird nichts passieren, aber ich muss zu ihm!“
„Also gut, aber nur weil Du eine gute Freundin bist und ich Dich sehr gut verstehen kann. Was Deiner Familie, Deinem Mann zugestoßen ist, ist einfach unverständlich, der pure Wahnsinn. Ich wüsste nicht, wie ich darauf reagieren würde. Ich möchte nicht in Deiner Haut stecken!“ Beide gehen zusammen zur Vorrichtung zum Öffnen der Zelle, in der ihr Bruder eingesperrt ist.
„Ich bleibe in der Nähe und werde kein Auge von ihm lassen! Aber ich muss die Zelle wieder verschließen,wenn Du drin bist! Ich hoffe nur, Du weißt, was Du da tust!“ Mit unwohlem Gesichtsausdruck öffnet Holgar das Gitter.
„Danke! Du hast bei mir was gut!“ Langsam betritt Enigma die runde kleine Zelle. Knöchel hohes, kaltes Wasser bedeckt den Boden.Das Tageslicht, welches durch eine hochgelegene Öffnung dringt, belichtet den Raum nur spärlich. Die Zelle erinnert mehr an eine fast leere Zisterne.
„Kommst Du auch, um eine Bestie anzugaffen, Schwesterherz? Äußerst mutig die Höhle des Löwen selbst zu betreten! Keine Angst vor mir oder vor dem was ich bin? Und bitte keine Mitleidsduselei! Die Zeiten sind vorbei!“ begrüßt Jorgens sarkastisch sein Familienmitglied.
Enigma geht auf diese Begrüßung nicht ein, auch wenn sie die kalte Art und Weise entsetzt.
„Sei gegrüsst Jorgens! Aber wie es scheint, spricht der Werwolf zu mir und nicht mein Bruder!“
„Der Bruder, den Du kanntest, existiert nicht mehr!“
„Warum hast Du das getan ? Seit wann bist Du ein Werwolf?“
„Ach komm schon Enigma! Das spielt doch keine Rolle mehr! Immer war ich die zweite Geige in unserer Familie. Schwesterlein hier, Schwesterchen da! Ich konnte denen nie etwas recht machen ohne dass Dein Name fiel. Seit Jahren bin ich schon ein Werwolf, ohne das es bis jetzt einer gemerkt hatte. Ich führe seitdem mein eigenes Leben. Unsere Familie spielt darin keine Rolle, nur ich!“
„Und deshalb tötest Du Mutter, Vater und meinen Mann? Bist Du von allen guten Geistern verlassen? Sie oder ich haben Dir doch nie etwas getan, also warum mussten gerade sie sterben?
„Ich hatte es satt, ständig in den Wald zu gehen, um irgendwelche Tiere zu reißen. Na und, ich hatte da gerade einen regelrechten Heißhunger nach etwas Besonderem. Menschenfleisch! Das es dabei unsere Ahnungslosen erwischte, ist dumm gelaufen. Aber ihr Blut war so köstlich, und lebendes menschliches Fleisch schmeckt eben besser, als ein gerissenes Getier. Das ist eben die Natur des Werwolfs!“
„Das ist mit Sicherheit nicht mein Bruder, der mit mir spricht! Zu solch einer bestialischen Tat wäre er nie im Normalzustand fähig gewesen. Niemals!“
„Pfff! ... Jorgens war ein Schwächling, ein Blindgänger, zu nichts nutze! Jetzt als Werwolf ist er besser, stärker, schneller, unsterblich!“
„Irrglaube, auch Werwölfe kann man töten. Genauso wie ich die Vampire töte. Du bist nichts Anderes als diese Monster. Und vor allem kein Gott!“
„Diese Mauern hier werden mich nicht aufhalten! Das wirst Du bald schon sehen!“
„Was hast Du vor, ..Hm? Ausbrechen? Dich der Verantwortung entziehen? Noch mehr töten? Hast Du nicht schon genug angerichtet?“
„Der Henker bekommt mich nicht! Kein Mensch wird mich umbringen!“
„Wenn Du das tust, werde ich Dich jagen. Du kannst Dich nicht vor mir verstecken, und das weißt Du. Nirgends wärst Du sicher vor mir! Verdammt nochmal, so kommst Du mir nicht davon! Du wirst Dich der Verantwortung stellen! So wahr ich hier stehe! Auch wenn Du mein Bruder bist! Ist denn nichts Menschliches mehr in Dir?“
„Ihr Menschen seid nur Mittel zum Zweck! Mehr nicht!“
„Bitte sei vernünftig! Lass mir meine letzte Chance Dir zu helfen, um Dich zu kurieren!“
Plötzlich fangen seine Augen an zu leuchten. Das grelle gelbliche Blitzen bringt Enigma dazu, rückwärts zum Ausgang zu gehen. Holgar will den Mechanismus betätigen, doch er erstarrt ungläubig und ängstlich. Er kann nicht glauben was er jetzt sieht.
Ihr Sicherheitsabstand bringt nicht das gewünschte Gefühl. Ihre Hand berührt ihr Schwert, bereit es zu ziehen, falls ihr Bruder zum Angriff übergeht.
„Was passiert mit Dir? Das kann doch nicht sein!“
„Glaubst Du wirklich an die Ammenmärchen, dass wir uns nur bei Vollmond verwandeln können? Wir haben gelernt die Verwandlung zu kontrollieren. Wir sind imstande, uns zu jeder Zeit uns zu verwandeln. Glaubst Du wirklich, ich lass mich so einfach zum Henker führen? Niemals!“
„Ich bitte Dich inständig, mach es nicht noch schlimmer! Ich will Dich nicht jagen müssen und sogar töten! Bitte nimm Vernunft an! So muss es nicht enden!“
„Meine kleine Schwester, immer an das Gute glaubend. Wie erbärmlich! Ich warne Dich, komm mir nicht in die Quere! Ein Mensch mehr oder weniger, auch wenn Du es bist, an dem ich mich dann labe, spielt dabei dann keine Rolle mehr!“
Er kommt ihr langsam entgegen. In der Mitte der Zelle passiert das Unglaubliche. Die Verwandlung wird vollzogen. Der Werwolf springt hoch, seine Krallen schlagen in das Mauerwerk ein, und er klettert nach oben, bis er den Rand der Öffnung erreicht. Er schaut nach unten zu seiner Schwester.
„Also denk an meine Warnung, lass von mir ab, wenn Du nicht sterben möchtest!“ Mit einem gefährlichen Knurren verschwindet er durch die kreisrunde Öffnung. Enigma steht immer noch nach oben blickend einfach so da. Die Flucht war so schnell und unerwartet vollzogen, dass man in ihren Gesicht mehr Erstaunen als Entsetzen zu sehen ist. Holgar öffnet das Gitter und kommt ihr entgegen. Auch er schaut nach oben. Ihm geht es nicht anders, als der Frau neben ihm.
„Verdammt nochmal! Das glaub ich einfach nicht! Wie ist das möglich!“
„Das hättest auch Du allein nicht verhindern können? Dass er fliehen würde, ist mir mittlerweile klar geworden. So kann man keine Bestie festhalten. Die Öffnung war Chance genug!“
„Was wird jetzt mit mir passieren! Wie soll ich das denn erklären? Man wird einem Sündenbock in mir finden!“
„Keine Angst! Das kläre ich mit dem Kommandanten und vor allem mit meinem Schwiegervater, dem Jarl. Dir wird nichts geschehen, das war mit Sicherheit nicht Deine Schuld! Also keine Sorge!“
„Danke Dir! Dein Wort als Thane hat sicherlich mehr Gewicht, als das eines kleinen Soldaten! Was wirst Du aber jetzt tun wegen Deinem Bruder?“
„Er hat die letzte Chance, dass ich ihm helfe damit verwirkt. Ich selbst werde ihn jagen, sogar töten müssen. Mir bleibt nichts anderes übrig! Das bin ich den Menschen hier und vor allem meiner getöteten Familie einfach schuldig! Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!“
„Du bist echt nicht zu beneiden, Enigma! Das Alles tut mir wahnsinnig leid. Ich wünsche Dir viel Glück dabei. Aber komm lebendig zurück! Bitte sei vorsichtig!“
„Keine Sorge, das ist doch mein Beruf, Monster zur Strecke zu bringen!“
„Ja schon, aber nicht, wenn es dabei um Deinen Bruder geht. Das ist was ganz Anderes! Komm lass uns zum Kommandanten gehen!“
...
„Das konnte doch keiner ahnen, dass er flieht!“ Der Kommandant der Wache hatte zwar mitbekommen, dass etwas passiert sein musste. Er wollte gerade nachschauen, als in dem Moment Holgar und Enigma das Kartenzimmer betreten.
„Da habt ihr recht. Nur so konnte man keinen Werwolf unterbringen. Ihn in schwere Ketten zu legen wäre das Erste gewesen, was ich befohlen hätte!“ Der nächste Satz kommt mit innerlichem Verdruss gepresst heraus. „Oder man hätte meinen Bruder, ... nicht verhaften, … sondern gleich töten sollen!“ Der Kommandant schaut in ihr Gesicht, er bewundert ihre innerliche Stärke, auch wenn er nur erahnen kann, wie schwer es der Kriegerin in dieser Situation fallen muss, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Dass ihr Bruder Jorgens ein Werwolf ist und das Schreckliche getan hat, muss für sie mehr als nur belastend sein.
„Es tut mir schrecklich leid, werte Thane! Und ich sehe auch meinen Fehler ein. Ich hätte mehr tun müssen als ihn nur einzusperren! Holgar trifft keine Schuld, auch das sehe ich vollkommen ein. Was hätte er auch dagegen machen können? Nichts! Ich habe keine Ahnung, wie ich mit diesen Monstern umzugehen habe. Im Gegensatz zu Euch!“ Der Kommandant haut mit der Faust auf den Tisch.
„Ich werde gleich zum Jarl gehen und ihm davon berichten, wenn er es bei diesem Tumult nicht schon erfahren hat!“ Ihm ist dabei mulmig zumute, aber er muss es tun.
„Ich werde Euch begleiten, ist eh mein nächstes Ziel!“ Enigma verabschiedet sich von dem sichtlich befreit dreinschauenden Freund.
Sie lassen Holgar zurück und verlassen die Kaserne. Die Nachricht von der Flucht des Werwolfs ist schnell durch Falkenring gegangen. Wie ein erschrecktes Wespennest kommen aus allen Ecken die Einwohner zur Kaserne gelaufen. Man kann deutlich die blutige Spur des Ausbruchs sehen. Eine ahnungslose Wache, ist das nächste Opfer der Bestie gewesen. Eine riesige klaffende Wunde am Hals ist erkennbar. Noch immer sickert Blut aus diesem Riss. Ihm war nicht mehr zu helfen. Priester Runil und Kust kümmern sich um das Opfer. Das grauenvolle Entsetzen ist in allem Gesichtern zu sehen. Aber auch Stimmen der Wut, der Ruf nach Rache werden lauter.
„Ruhe Leute!“ Der Kommandant wendet sich lautstark an die Anwesenden.
„Ich möchte jetzt nicht erleben, dass irgendeiner von Euch sich zu einer Dummheit verleiten lässt. Ich kann Eure Wut und den Wunsch nach Rache vollkommen verstehen! Aber keiner von Euch, auch ich nicht, kennen sich mit solchen Monstern aus. Das wäre purer Selbstmord, einfach so ihm hinterherzurennen. Denkt darüber nach!“
„Wie sollen wir uns denn davor schützen, wenn nicht einmal Ihr dazu fähig seid?“ Lod und auch die anderen Anwesenden erwarten darauf eine Antwort. Dass sich dabei der Kommandant verlegen umschaut, entgeht Enigma nicht.
„Ich werde es tun!“ Erstaunt und raunend schauen die Einwohner sie an.
„Ich werde es tun, das bin ich meinen getöteten Liebsten schuldig. Auch wenn es mir widerstrebt, den eigenen Bruder zu jagen. Ich muss es tun! Den Jorgens, den Ihr alle kanntet gibt es nicht mehr. In ihm ist nichts Menschliches mehr. Nur noch das Wesen eines Wolfes. Er wird sich der Verantwortung stellen, auch wenn ich ihn töten werde! Bitte, hört auf den Kommandanten und lasst Euch nicht zu Dummheiten verleiten. Ihr seid einem Werwolf nicht gewachsen und ich möchte nicht noch mehr Opfer betrauern müssen. Die Eigenen sind schon ein Desaster genug!“ Enigma und der Befehlshaber der Wache verlassen die Runde und gehen in Richtung Jarlhalle. Als beide den Sitz des Jarls betreten, finden sie Siddgeir im lautstarken Disput mit ein paar wild aussehenden Jägern. Woher sie so schnell gekommen sind ist ihr ein Rätsel. Auch der Kommandant schaut besorgt auf die Ankömmlinge.
„Was geht hier vor Schwiegervater! Wer sind denn diese Männer!“ Enigma lässt die bewaffneten Männer einfach links stehen. Sie schenkt denen keine Beachtung, als der Jarl sie in die Arme nimmt.
„Schön das Du da bist Enigma, auch wenn die Umstände nur schrecklich für Dich sein müssen. Ich bin immer noch sehr entsetzt, nach Allem was geschehen ist. Und nun ist auch noch Dein Bruder ausgebrochen! Kommandant, wie konnte das denn passieren!“
„Werter Jarl, das ist meine Schuld! Unsere Vorkehrungen waren kein Hindernis für solch eine Bestie! Jetzt habe auch ich damit einen Mann verloren! Ich...Ich weiß nicht, was ich dazu noch sagen soll!“
„Das kann ich gut verstehen! So wie die Sachlage ist, hätte es keiner von uns verhindern können, es sei denn wir hätten ihn gleich nach Einsamkeit gebracht. Aber das wollte man nicht. Es sei unser Problem und wir hätten somit damit fertig werden müssen!“ Der Jarl nimmt die Schuld der Wache auf sich, er hätte darauf bestehen müssen, das man Jorgens nach Einsamkeit überführt.
„Das ist jetzt aber nicht mehr zu ändern! Nun ist er weg. Und die Bedrohung damit allgegenwärtig!“
„Deshalb bin ich ihr! Ich werde ihn jagen, und wenn es sein muss auch töten!“ Enigma schaut entschlossen zu ihrem Schwiegervater. „Ich muss es einfach tun, und Du weißt, dass ich mich damit auskenne!“
„Pfff, und das noch vielleicht allein? Bleibt lieber in Eurem Kämmerchen und verschließt diese ganz fest, damit Euer Bruder nicht auch noch Euch frisst!“ Die anderen beiden, ein Ork und ein Argonier fangen nach dieser Bemerkung an zu lachen. Enigma dreht sich wütend um und schaut auf den Sprecher, der mit verschränkten Armen und belustigter Mimik zwischen den anderen steht. Ihre Augen blitzen gefährlich. Als er das sieht, vergeht ihm etwas das Lachen.
„Woher zum Teufel diese goldgierigen Möchtegern-Jägern so schnell gekommen sind, ich weiß es nicht. Ich wollte gerade raus gehen, um mich zur Kaserne zu begeben, als diese drei Männer plötzlich auf dem Plan standen. Sie würden sich auf die Fährte des Wolfes machen, wenn ich sie gut dafür bezahlen würde! Aber gut, das ihr hier seit Kommandant! Ich finde, das man sie für ihre hier dargebrachte Respektlosigkeit und Frechheit ins Verlies werfen sollte. Ich habe schon genug Ärger am Hals, und da brauch ich nicht noch mehr!“
„Moment!...Moment!...Das muss doch nicht sein! Wir wollen doch nur helfen, und wir kennen uns gut mit besonderem Wild aus. Wir sind die Besten auf diesem Gebiet, auch wenn wir nicht gerade billig sind!“ Dem Anführer der kleinen Gruppe ist nun nicht mehr zum Lachen zu Mute. Er beißt sich auf die Lippe, nachdenkend wie er da wieder rauskommt.
„Wer seit ihr überhaupt, und woher die Annahme, das ihr mit solch „besonderem Wild“ auch fertig werdet!“ Enigma schaut sich die drei von unten nach oben an, und in ihr wächst das Gefühl, das sie mehr als nur Ärger machen werden.
„Ich bin Branmark aus Windhelm, der Argonier ist Falem Bey und Gremgoshgall ist aus dieser Gegend. Er kommt aus Dushnikh Yal und kennt sich hier bestens aus. Seit Jahren sind wir zusammen und sind für jede Großwildjagd zu haben, wenn man uns auch dafür gut bezahlt. Ich hatte so eine Ahnung, als wir hörten, das in Falkenring eine Bestie im Wolfspelz ihr Unwesen treibt und gefangen genommen wurde. Irgendwie wusste ich, dass das hier noch kein Ende hat, dass etwas passieren würde. Deshalb schlugen wir hier draußen ein verstecktes Lager auf und warteten ab. Und ich hatte mit meiner Ahnung recht. Es soll nicht heißen, dass wir diese Flucht wollten, aber somit wollen wir hier und jetzt unsere Hilfe anbieten!“ Branmark fühlt sich etwas unwohl und weiß nicht mehr, ob es eine gute Idee war, so hier hereinzuplatzen. Die rothaarige Frau geht langsam auf den Anführer zu. Er scheint sie nicht zu kennen. Irgendwie erfreut es sie, dass es doch jemanden gibt, der ihren Namen und Ruf nicht kennt. Kurz vor ihm bleibt sie stehen und Branmark spürt plötzlich eine gefährliche Ausstrahlung, die von ihr ausgeht, da er sie mit seiner vor kurzer Zeit getätigten Bemerkung ihrer Person betreffend, verletzt hat.
„Großwildjagd? Ihr ahnungslosen Hornochsen wollt euch mit einem Werwolf anlegen? Von mir aus macht nur. So brauch der Jarl Euch nicht zu bezahlen. Weil ihr nicht dazu kommen werdet, es in Empfang zu nehmen. Lass sie gehen Schwiegervater, sollen sie ihr Glück versuchen. Die sind der Mühe nicht wert! …Nur ich warne Euch, kommt mir nicht in die Quere. Wenn einer meinen Bruder zur Strecke bringen kann, dann bin ich es!“
„Woher denn diese Sicherheit, was befähigt Euch dazu, das ihr es besser könnt als wir!“ Falem glaubt nicht, dass diese Person, eine Frau, besser ist als die drei erfahrenen Jäger.
„Ihr kennt Sie also nicht, noch nie etwas von ihr gehört?“ Ein verschmitztes Lächeln verzieht das Gesicht des Schwiegervaters. Auch der Kommandant betrachtet nun lächelnd diese Situation.
„Enigma ist die bekannteste Vampirjägerin von ganz Himmelsrand, und ihr wollt mir sagen, dass ihr noch nie etwas von ihr gehört habt?
Es gibt nur sehr wenige, die sich mit diesen Monstern und Bestien auskennen. Darunter zählt auch meine Schwiegertochter. Nur das Wissen um dieses Mysterium befähigt die Auserwählten, diese Kreaturen zu jagen und zu töten. Dass Ihr auch dieses Wissen habt, wage ich ernsthaft zu bezweifeln.
Ich an Eurer Stelle würde ihre Warnung nicht einfach in den Wind schlagen und von der Verfolgung ablassen. Ist nur ein Rat, wenn Euch Euer Leben lieb ist. Nur glaube ich kaum, dass Ihr auf uns hören werdet!“ Siddgeir setzt sich nun auf den Thron.
„Ihr könnt gehen. Ich bin nicht an Eure Hilfe interessiert! Und mein Gold werde ich somit nicht an irgendwelche ahnungslosen Möchtegern-Großwildjägern verschwenden. Also verzieht Euch, ich habe dringende Angelegenheiten zu klären, die Euch somit nichts angehen! Kommandant begleite sie hinaus aus der Stadt! Sollten sie diese wieder betreten, dann werft sie ins Gefängnis! Vielleicht sind sie dann sicher vor irgendeiner Dummheit!“ Die drei Jäger verkneifen sich weitere Worte des Widerspruchs. Aber der Blick Branmarks, den er Enigma zuwirft, lässt erahnen, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Schnell verlassen die Männer mit dem Kommandanten im Rücken die Jarlhalle. Die eingetretene Ruhe ist wohltuend. Doch der Jarl schaut mit besorgtem Gesichtsausdruck zu seiner Schwiegertochter.
„Das Ganze ist doch purer Wahnsinn. Es tut auch mir schrecklich leid, was Deiner Familie, und somit auch Deinem Mann, meinem Sohn zugestoßen ist. Und das dein Bruder dies getan hat, tut auch mir besonders weh. Meine Trauer ist somit tief verbunden mit Dir, mein Kind! …Aber mir fehlt mein Sohn, ich vermisse ihn so sehr!“
„Nicht nur Du! Sein Kind wächst in mir heran! Das wird er nun nie erfahren und erleben! Auch meine Eltern nicht. In mir ist nur noch schwarze Leere. Und jetzt muss ich auch noch meinem Bruder jagen!“ Sie weint, die Tränen haben nun freien Lauf.
„Du bist schwanger? Nichts da, Du wirst Dich nicht in solch eine Gefahr begeben. Das lasse ich nicht zu. Denk bitte an das in Dir wachsende Kind. Es würde mein Herz zerreißen, wenn ich dann auch noch euch beide verliere. Bitte tue es nicht!...Da muss es eine andere Lösung geben!“ Siddgier ist vollkommen aufgelöst und springt auf, und nimmt die junge liebgewonnene Frau, die er mittlerweile auch als seine Tochter sieht, in seine Arme.
„Du weißt doch ganz genau, das ich es tun muss. Wer soll es den machen, hm? Die drei Typen da? Die haben doch keine Chance gegen ihn. Und ich möchte nicht, dass Du noch mehr Jäger anheuerst, nur der Rache wegen. Das kann nicht gut gehen. Deshalb muss ich es allein tun. Das bin ich Dir und meiner Familie schuldig. Du kannst mich nicht aufhalten! Das ist zwecklos! Wenn es noch mehr unschuldige Opfer durch mein eigenes Fleisch und Blut gibt, das würde ich nicht ertragen können! Damit kann ich dann nicht mehr leben. Ich muss es beenden!“ Siddgier sieht ein, das nichts auf der Welt von ihrem Vorhaben abbringen kann, so gern er es auch möchte. Er weiß, dass das nur sie schaffen kann. Und diese Erkenntnis ist schmerzvoll aber unabdingbar.
„Soll ich um Hilfe in der Dämmerwacht bitten, dann wärst Du nicht allein!“
„Kannst Du machen, aber ich werde nicht darauf warten, bis sie hier sind. Ich muss sofort die Spur meines Bruders aufnehmen. Das bedarf keinerlei Aufschub. Falkenring ist schon genug in Aufruhr. Das macht es nicht leichter. Andere sich überschätzende Jäger werden ebenfalls die Verfolgung aufnehmen. Das ist nicht zu verhindern. Aber mir muss es gelingen, meinen Bruder zuerst aufzuspüren. Das wird schwer genug. Nur ich möchte nicht weiteres Leid miterleben, welches Jorgens anrichten könnte. Das endet hier!“ Mit schweren Herzen nehmen beide Abschied. Schnell verlässt die Vampirjägerin die Halle und geht zurück zur Kaserne. Am Ort des ermordeten Soldaten angelangt, begutachtet sie die gut zu sehenden Fährte des Werwolfs. Ihr langjährig geschulter Blick eines Jägers verfolgt die Spur, die an der Wassermühle vorbei in den angrenzenden Wald läuft. Ohne zu zögern springt sie auf und rennt zurück zu Frost.
An Michels Hof angelangt begrüßt sie der Schimmel auf seine Art. Er hat sich von dem rasanten und wilden Ritt gut erholt. Enigma fühlt die wiedergewonnene Kraft ihres Lieblings und spürt auch seine Lust auf neue Abenteuer.
„Das wird kein Zuckerschlecken mein Freund. Wir beide müssen sehr auf der Hut sein!“ Mit diesen Worten steigt sie auf und verlässt die Stadt in der Richtung, welche der Wolf genommen hat. Die Jagd nach ihren Bruder beginnt.
Sie ist nicht allein auf dessen Fährte. Ihre scharfen Augen sehen Spuren weiterer Verfolger. Drei weitere Jäger haben die Verfolgung aufgenommen. Enigma weiß wer diese sind. Ihre Vorahnung hat sich somit bestätigt. Die „Großwildjäger“ haben sich nicht von ihrer Warnung beirren lassen. Ein Zusammentreffen ist nicht mehr auszuschließen.
Ihre Haltung ist gespannter, ihr Blick noch wachsamer. Stetig wandern ihre Augen aufmerksam durch die Gegend, ohne dabei die Fährte außer Acht zu lassen.
- Teil II -
„Die ach so berühmte Vampirjägerin ist vor uns zu Boden gegangen!“ Branmark nimmt einen langen Zug aus seiner Pfeife und stößt kurz darauf den dicken Qualm in das Gesicht Enigmas. Nicht genug dass sein Tabak übel stinkt und sie zum Hustenreiz zwingt, ihr Kopf sucht selbstständig krampfhaft einen Weg, sich von den hämmernden Schmerzen zu befreien. Seine lachenden Begleiter haben die Frau unsanft in ihre Mitte genommen und halten sie fest.
„Wenn Dein geliebter Jarl uns nicht für den Werwolf bezahlen will, wird er sicherlich ein gutes Sümmchen für Dich springen lassen!“
„Neben „Großwildjäger“ auch noch Entführer und Erpresser. Schöne Nebenberufe habt ihr Drei! Der Werwolf ist Euch wohl eine Nummer zu groß!“ Hustend und gepresst, mit leicht gefährlichem Unterton, ist in ihrer Antwort auch Sarkasmus zu erkennen.
„Wow, die Kleine hat nicht nur Mumm in den Knochen, sondern auch noch eine große Klappe!“ Falem Bey, der Argonier, ist von ihrer Antwort nicht gerade begeistert. Zur Bestätigung seines Unwillens umklammern seine Hände noch fester den rechten Arm der Rothaarigen.
„Am liebsten würde ich ihr Manieren beibringen. Die Abfuhr beim Jarl ist schon Grund genug, ihn spüren zu lassen, dass man das mit uns nicht ungestraft macht!“
„Was habt ihr drei denn erwartet, hm? Dass man Euch in dieser Situation, in welcher sich Falkenring befindet, mit offenen Armen empfängt? Vor allem nicht auf diese unverschämte Art und Weise, Gold aus dem Leiden anderer zu holen! Muss ja ein erhabenes Gefühl sein, sich daran auch noch zu ergötzen!“
Branmark schaut sie unwirsch an. Während er sich wieder seinem stinkenden Tabak widmet, blickt er in die unerschrockenen hellblauen Augen. Irgendwie ahnt er, dass diese Aktion ein böses Ende nimmt.
Aber diese Einsicht kommt zu spät. Auch wenn er in Erwägung zieht sie deshalb freizulassen. Sie bedeutet mehr Ärger, als ihm lieb sein wird. Ihr Blick verdeutlicht zunehmend seine Annahme, das sie es nicht dabei belassen wird. Sie würde auch ihn und seine Freunde jagen. Dessen ist er sich sicher. Für ihn und seine Begleiter gibt es nun kein Zurück mehr. Er versinkt in weiteres Nachdenken.
Seine Freunde wissen nicht, was sie jetzt machen sollen. Ihre etwas verwirrten Blicke richten sich auf ihren Anführer.
„Was machen wir jetzt mit Ihr?“ Gremgoshgall bekommt keine Antwort von Branmark.
Trotz der Kopfschmerzen und des eigenmächtigen Handelns ihres Gehirns, versucht die Jägerin, ihre Erinnerungen und Gedanken zu sortieren.
...
Seit Stunden war sie unterwegs. Es hatte angefangen zu regnen. Auch wenn das dichte Laub der Bäume sich schützend über die Fährte legte, würde es nicht lange dauern, bis auch sie sich der schweren Nässe ergeben mussten. Das dies das Spurenlesen erschwerte, wurde ihr vollkommen klar. Auch dass der Tag sich dem Abend zuneigte, verbesserte ihre Chance einer schnellen und erfolgreichen Verfolgung des Bruders nicht besonders. Die zunehmende Dunkelheit zwang sie dazu, vom Pferd zu steigen. Während sie versuchte in gebückter Haltung der Spur zu folgen, trottete Frost hinter ihr her.
Es war mittlerweile sinnlos, sich nach den Spuren zu richten. Der Regen hatte seine vernichtende Wirkung an der Fährte vollzogen. Ihre Augen taten weh. Ihr bleib nichts anders übrig als die Jagd vorerst abzubrechen und einen Platz für ein Nachtlager zu suchen.
Die stundenlange und anstrengende Verfolgung schwächte ihre Wachsamkeit.
Frosts Warnung kam zu spät. Während sie sich aufrichtete, schlug jemand sie nieder. Das Errichten eines Nachtlagers hatten schon andere übernommen.
Sie erwachte in einer Höhle. Als man das bemerkte wurde sie von zwei ihr bekannten Männer, einem Ork und einem Argonier hochgerissen. Man hatte sie nicht gefesselt, zu sicher waren die drei Jäger, die Enigma in der Jarlhalle kennenlernte. Nur ihre Waffen hatte man ihr genommen. Sie lagen an einem nahem Lagerfeuer, an dem Branmark seine Tabakpfeife entzündete.
Das Zusammentreffen kam schneller zustande, als sie erwartet hatte. Nur deren Vorhaben überraschte selbst sie.
…
Dass Branmark mit seinen Vorahnungen recht behalten sollte, bahnt sich mit grausamer Wahrscheinlichkeit an. Noch merken nicht alle Anwesenden die stetig wachsende Gefahr einer sich nähernden Bedrohung. Nur eine spürt diese Annäherung.
Enigma´s geschulte Aufmerksamkeit war wohl mit dem Schlag auf den Kopf noch mehr verstärkt worden.
Sie sieht die grellgelben Augen eines Wolfs, welche sich unweit am Eingang des Unterbaus in der nächtlichen Finsternis abzeichnen und langsam nähern. Sie weiß sofort zu wem diese gehören. Sie spürt den nahenden Bruder. In ihr wächst eine noch nie dagewesene Furcht. Aber auch eine Chance sich aus der Gewalt der drei Männer zu befreien. Nur das Wie ist noch nicht erkennbar. Die ahnungslosen Jäger sind sich der drohenden Gefahr nicht bewusst. Allein dieser Umstand beweist die Tatsache, dass ihr bisheriger Jagderfolg mehr dem Zufall entsprach, als einer erfahrenen Ausübung dieses Berufs. Jeder andere Jäger, der dieses Handwerk ausübt, würde schon im Ansatz merken, das Gefahr in Verzug ist. Das ist der große Unterschied zwischen den drei Möchtegern-Jägern und Enigma. Ihre Ahnungslosigkeit und Überschätzung wird hier ein entsetzliches Ende finden. Das ist der erfahrenen Jägerin absolut bewusst. Sie schwankt zwischen Warnen oder Geschehen lassen, und erst einmal an sich denken. Sie entscheidet sich für die erste Alternative. Auch wenn es diese Männer verdient hätten, will sie nicht, dass das vorauszusehende grausame Ende unvorbereitet und überraschend über sie hereinbricht. Doch es ist zu spät.
Der Angriff des Werwolfs kommt urplötzlich, mit wahnsinniger Geschwindigkeit und unglaublicher Kraft. Ein Satz, ein darauf folgender Klauenhieb und die Pfeife wird Branmark regelrecht in den Mund hinein gepresst. Dabei wird er, immer noch sitzend, ausgehoben. Sein Körper zerschellt an der naheliegenden Gesteinswand. Laut ist zu hören, wie dabei die Knochen nachgeben. Er bleibt regungslos liegen. Seine weit aufgerissenen Augen drücken nur überraschendes Entsetzen aus. Das Brechen der Knochen war wie ein Weckruf für die Anderen. Der Argonier stürzt sich mit voller Wut und gezogenem Langdolch auf den Werwolf. Noch kann Falem einem weiteren kraftvollen Hieb ausweichen. Dabei verletzt er die Bestie an der linken Flanke. Mit entsetzlichem Geheul schlägt das Untier um sich. Der Argonier wird mehr und mehr in die Enge getrieben. Doch plötzlich erstarrt er in seiner Bewegung. Mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck und mit einem überraschenden Aufschrei blickt er auf seine Brust, genau da, wo sich das Herz befindet. Die scharfe Klauenhand des Werwolfs traf ihn mit unbarmherziger Härte. Bei so einem Aufprall wäre er normalerweise ebenfalls mit dem Rücken gegen die Wand geschleudert worden. Diesmal aber nicht.
Mühelos bohrte sich der muskulöse Arm des Monsters durch die schuppige Haut Falems. Am Rücken wieder rauskommend, hält die Klaue das immer noch leicht pochende Herz fest umschlungen. Pulsierendes Blut verlässt das herausgerissene Organ, und benetzt den Untergrund der Höhle mit der selben roten Flüssigkeit, welche auch aus der langen Wunde des Wolfes entweicht.
Mit dem Stillstand des Herzes erlischt auch das Leben des Opfers. Nachdem der Arm wieder aus dem toten Körper des Argoniers gezogen wird, fällt dieser augenblicklich zusammen. Während sich die Echse und der Wolf im ungleichem Zweikampf befinden, nutzt Enigma ihre Chance. Der Ork hält immer noch die Gefangene fest. Ungläubig und mit vollkommenem Entsetzen verfolgt er die Ereignisse, die sich vor ihm abspielen. Er könnte den Versuch unternehmen zu fliehen. Doch irgendwie ist er an seiner Position eingefroren. Nur sein immer festeres Zudrücken des linken Arms der Frau beweist ihr, dass er noch nicht vor lauter Angst gestorben ist. Es reicht ihr. Eine rasche Bewegung ihres umklammerten Armes befreit sie etwas aus seinem Griff.
Ein gezielter seitlicher Tritt an sein rechtes Knie erlöst sie vollständig von der Umklammerung. Sie springt nach vorn, und beim Vorwärtsrollen ergreift sie ihr Schwert. Aber noch bevor sie sich um den Ork kümmern kann, ist auch schon die Bestie bei ihm. Die mit überdimensionalen Klauen besetzten Hände umschließen den Kopf. Eine schnelle ruckartige Verdrehung und der kopflose Körper fällt auf den staubigen Boden. Auch der Kopf des Enthaupteten macht Bekanntschaft mit der Höhlenwand. Mit voller Wucht geschleudert, zerplatzt dieser mit schauerlichem Krachen. Nach dem dritten Opfer heult ihr Bruder mit erhobenen Haupt die Decke des Unterschlupfs an. Dieses Geheul ist grausam und ihr Gehör droht zu platzen.
Aber diese unmenschliche Auseinandersetzung hat auch an dem Werwolf Spuren hinterlassen, auch wenn es nur einer geschafft hat, ihn zu verletzten. Im Schein des Lagerfeuers erkennt die Jägerin, dass sich die Wunde wieder geschlossen hat und der Fluss des Blutes versiegt ist.
Beide schauen sich an. Er immer noch am Feuer hockend, schwer atmend. Sie in gebückter Haltung, mit gezogenem Schwert, den ihr geltenden Angriff erwartend. Doch nichts passiert. Minutenlang verharren sie in ein und derselben Stellung und lassen ihre Augen nicht voneinander. Die Spannung ist fast körperlich fühlbar und dem Zerreißen nahe.
Enigma kämpft mit sich, das wäre die Chance zur Flucht. Aber irgendetwas hält sie davon ab. Während sie ihn weiter beobachtet, schlagen sich die Klauen der linken Hand in den Körper des Ork. Als ob es nur ein leeres Gefäß wäre, wirft er die Leiche vor sich. Kurze Zeit später dringen die langen Zähne in das tote Fleisch. Lange saugt er das Blut auf. Schmatzende und genussvolle Laute entweichen seinem Maul.
Nur seine Augen bleiben weiterhin an seiner Schwester haften. Enigma hat aber genug gesehen, mit angeekelter Mimik dreht sie sich um und will fliehen.
„Bleib!“ Der laute, gefährliche Ruf lässt sie erstarren. Sie erkennt sofort, dass eine Flucht aussichtslos ist. Sie dreht sich wieder zu ihm.
„Willst Du nun auch noch mein Blut trinken, Bruder? Versuch es! Nur wirst Du es mit mir nicht so leicht haben!“
„Bedanken sich die Menschen immer so, wenn man diese befreit?“ Wieder widmet er sich dem blutigen Mahl.
„Das ist keine Befreiung, nur ein entsetzliches Massaker. Die drei hatten nie eine Chance gegen Dich!“
„Stimmt! Aber auch Du nicht! Während ihr vier meiner Spur folgtet, konnte ich unbemerkt einen Bogen schlagen und war seitdem stetig hinter Euch. Ich hatte jederzeit die Möglichkeit, Dich vom Pferd zu holen. Ich bin halt kein Vampir Schwesterherz. Diese Blutsauger können Dir sicherlich nicht entkommen. Nur hast Du noch nie einen Werwolf verfolgt!“
„Hochmut kommt vor dem Fall! Also los, töte mich, das ist es doch was Du willst!“
„Ich habe genug Fleisch und Blut hier, um wieder zu Kräften zu kommen. Da brauch ich Deines vorerst nicht! Aber Du bist eine neue Herausforderung für mich. Und diese Jagd ist nun eine Sache zwischen Dir und mir! Ich werde Dir beweisen, das Werwölfe aus einem anderen Holz geschnitzt sind, als Deine Vampire!“
„Nun merke ich endgültig, das mein Bruder tot ist. Das nun die Entscheidung Dich zu jagen und zu töten, keinerlei Nachdenkens mehr bedarf. Du hast genug Unheil und Leid angerichtet. Los steh auf und kämpfe mit mir! Das endet hier und jetzt!“
Enigma stürmt vor, springt über das Lagerfeuer, aber der Schwertstreich verfehlt das Ziel. Diesen Angriff hat die Bestie erwartet. Er schleudert den toten Körpers des Orks auf die Frau während er sich seitlich abrollt.
Die Jägerin wird voll getroffen. Zusammen fallen sie unweit zu Boden. Ihr ganzer Körper verzieht sich in schmerzvollen Verkrampfungen. Trotzdem schafft sie es, sich von dem Körper zu befreien. Aber noch bevor sie aufstehen kann, ist der Wolf schon über ihr. Seine Augen schießen grelle Blitze auf sie. Blut und Speichel tropfen auf ihr Gesicht.
„Noch nicht Schwesterlein! Ich entscheide, wo wir uns wiedersehen! Du wirst mich schon finden! Ich werde Dich erwarten!“
Enigma glaubte sich dem Ende nahe. Das hatte sie nicht erwartet. Sie liegt immer noch da. Der Wolf ist genauso schnell verschwunden, wie er erschienen war und angegriffen hatte. Sie rappelt sich auf. Langsam versucht sie, ihre etwas lädierten Knochen und Muskeln zu lockern und zu entkrampfen. Schmerzende Wellen schießen dabei durch den ganzen Körper. Aber das ist ihr jetzt egal, sie will nur noch schnell weg von diesem schrecklichen Ort des Massakers. Sie nimmt ihre Waffen auf und verstaut diese an ihrem rechtmäßigen Platz. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verlässt sie mit geschärften Sinnen die Höhle. Am Eingang schaut sie um sich, aber nichts ist von dem Werwolf zu spüren und zu sehen. Er ist weg. Plötzlich erscheint Frost aus dem Wald, und kommt freudig wiehernd auf sie zu. Enigma streichelt seinen Hals, und ist froh, dass ihm nichts passiert ist. Sie steigt mit schmerzverzerrten Gesicht auf und reiten in die Finsternis des Waldes hinein.
Frost hatte sie vor drei Tagen an der Halbmondmühle bei der netten alten Nert zurückgelassen. Ihr Pferd war hier in guten Händen und vor allem in Sicherheit. Zu Fuß würde sie besser dran sein, als mit dem auffälligem Schimmel durch die Gegend zu streifen. Und als Lockvogel wollte sie ihren Liebling bestimmt nicht verlieren. Allein war sie sicherlich schwerer zu entdecken, nach allem was passiert war. Beim Abendessen erzählte ihr die alte Frau Legenden über Hircine, den Gott der Jagd und Erschaffer der Werwölfe. Dieser Gott erschuf sie, aus einem Streit heraus mit seinem Gottesbruder Molag Bal, der die Vampire losließ. Diese Wolfsbestien sollten als Gegenpart zu den Blutsaugern dienen und somit ihren Streit in der Menschenwelt austragen. Tagelang verfolgt die Jägerin nun zu Fuß ihren Bruder. Auch wenn er viele blutige Spuren und entsetzlich verstümmelte Kadaver von Tieren und ahnungslosen Menschen hinterlassen hatte, verlief die Spur wieder im Sand. Dass Enigma dabei ständig im Kreis geführt wurde, ging ihr langsam auf die Nerven.
Immer wieder schaut sie um sich. Mal spürte sie seine Anwesenheit, dann wieder nicht. Als ob er mit ihr ein Spiel treibt. Nachts sucht sie Verstecke auf, welche sie dann mit Fallen regelrecht verbarrikadierte, um sich in Sicherheit zu wägen. Nur ihr Schlaf ist unruhig, bei leisesten Geräusch schreckt sie auf.
Eine Woche vergeht. Enigma bemerkt mehrere Jäger, die sich ebenfalls auf der Fährte des Werwolfs befinden. Zähneknirschend nimmt sie das zur Kenntnis, denn einige Jäger sind aus Falkenring.
„Verdammt, das ist nicht gut. Noch mehr Opfer für meinen Bruder. Wo steckst Du?“ denkt sie wutentbrannt. Sie geht auf eine Gruppe der Jäger zu. Man erkennt sie sofort, und die vier Männer kommen ihr entgegen.
„Nach Euren Gesichtsausdruck zu urteilen, habt Ihr bis jetzt noch kein Glück gehabt! Aber wir auch noch nicht. Im Gegenteil! Drei unserer Freunde waren spurlos verschwunden. Erst am nächsten Tag fanden wir sie, in grauenvollem Zustand!“ Traurig senken alle vier Männer ihre Häupter.
„Wurde Euch nicht gesagt, dass das viel zu gefährlich ist. Bei allen neun Göttern, warum erlaubt das der Jarl!“ Enigma ist sichtlich wütend, ob der Missachtung ihrer Warnung.
„Er macht sich halt Sorgen um Euch. Auch konnte er keine Hilfe aus Dämmerwacht bekommen, weil diese zum endgültigen Schlag gegen die Vampirfeste unterwegs sind. Nur der erblindete Mottenpriester war in der Wacht anwesend! Deshalb schickte er halt erfahrene Jäger los, um Euch zu unterstützen!“
„Ich bitte Euch, geht wieder zurück nach Falkenring. Die Bestie ist in einem wahrem Blutrausch und zerreißt alles, was ihr in die Quere kommt. Habt Ihr nicht die Orte dieser blutig schrecklichen Taten des Werwolfs gesehen. Dem seid Ihr nicht gewachsen. Auch wenn ich Eure Hilfe sehr zu schätzen weiß und es nur gut meint. Bitte, geht wieder zurück! Das ist eine Sache zwischen meinem Bruder und mir! Ich muss es allein tun.“
Ein Khajiit tritt vor.
„Hm! Also gut, ich glaube Ihr habt recht, dass wir dem nicht gewachsen sind. Aber vielleicht ist das eine Hilfe für Euch. Andere Jäger haben berichtet, dass man den Werwolf in der Nähe der Dickbauchhöhle gesichtet hätte. Vielleicht ist es sein Unterschlupf. Wir selbst haben diese Höhle schon oft von außen gesehen. Nur da hinein getraut haben sich nicht viele. Auch ich nicht. Gerüchten zufolge soll niemand diese Grotte lebend verlassen haben, der sie betreten hatte. Hircine, der Gott der Jagd selbst, soll da eine Rolle spielen. Also seid vorsichtig, wenn Ihr in Erwägung ziehen solltet diese zu betreten. Sollen wir dem Jarl etwas von Euch ausrichten?“
„Ja! Er soll aufhören weitere Jäger auszuschicken! Es sind schon genug Leben vernichtet worden. Ob nun Tiere oder Menschen! Und solltet Ihr andere Jäger unterwegs auf dem Rückweg treffen, dann überredet sie ebenfalls zur Aufgabe und zur Rückkehr! Und vielen Dank für den Hinweis und die Warnung betreffs der Höhle!“
„Werden wir machen, werte Thane! Viel Glück und gebt auf Euch acht! Lebt wohl und kommt lebend zurück!“ Nach diesen Worten drehen die Männer um und machen sich auf in Richtung Falkenring.
Kopfschüttelnd blickt Enigma lange den Jägern hinterher. Sie ist sich aber sicher, dass manch ein Jäger nicht darauf hören wird. Man will ja keine schlechten Karten bei ihrem Schwiegervater haben. Aber der Frau wurmt es, dass der Jarl nicht auf sie hört, auch wenn er sich Sorgen um ihr Leben macht. Die Jägerin macht sich daran, die Spur wieder aufzunehmen. Mit gemischten Gefühlen setzt sie die Verfolgung fort. Auch sie hat oft Geschichten über diese Höhle von ihrem Vater gehört. Auch er war nie drin. Wann immer ihr Vater in dieser Gegend war, machte er stets einen großen Bogen um dieses Versteck. Zu unheimlich war für ihn die Dickbauchhöhle.
Plötzlich knackt es neben ihr im dichten Unterholz. Sie blickt schnell in diese Richtung, aber schon springt ihr ein riesiger Schatten entgegen. Reaktionsschnell rollt sie sich seitlich ab. Erst glaubt sie, dass es wieder der Werwolf ist. Aber es ist nur ein Schwarzbär, den sie beim Mittagsschlaf gestört hat. Er richtet sich auf und zeigt seine enorme Größe. Seine kraftvollen, großen Vorderpranken schlagen Luftlöcher, als ob er damit sagen möchte „Verschwinde hier!“ Enigma steht auch auf und geht langsam rückwärts aus dem Angriffsbereich des Bären. Seine Gestik erzielt somit seine Wirkung. Er ist wohl noch zu müde, um den Angriff fortzuführen. Brummend macht er kehrt und geht wieder in das dichte Unterholz zurück. In der Frau schlägt das Herz wahre Paukenschläge. Ihr wird wieder einmal bewusst, dass sich viele Gefahren in den Wäldern rund um ihren Heimatort verbergen und man stets vorsichtig sein muss. So leicht ist die erfahrene Jägerin eigentlich nicht zu erschrecken. Aber das hier sind andere Umstände. Nebensächliche Gedanken oder ablenkende Gefühle sind hier fehl am Platz und können tödlich sein. Ihre Wahrnehmung und Konzentration, ihr Gespür sind nach diesem Vorfall wieder vollkommen hellwach und geschärft. Noch einmal wird ihr das nicht passieren. Das Wetter hat sich gebessert, auch der vom tagelangen Regen durchnässte Untergrund des Waldgebietes trocknet langsam wieder ab. Nach diesen nebligen und regenreichen Tagen ist es eine Wohltat, dass die Wärme der Sonne ihr Gesicht berührt. Und somit wird es ihr auch leichter, die Spur der Bestie wieder aufzunehmen. Sie erreicht einen Hügel am Rande des Waldes. Vor ihr ist wieder die Halbmondmühle zu sehen. Wiedereinmal ist sie im Kreis gelaufen.
„Was hast Du vor Bruder? Das wird doch langsam langweilig!“ Seit dem gestrigen Tag war von ihm nichts mehr zu sehen oder zu spüren, als ob ihn der Wald verschluckt hätte. Dann sieht sie zwei Männer mit Bögen nordwärts an der Mühle vorbeilaufen. Sie kann ahnen wohin ihr Weg führt. Sie schaut in Richtung Horizont. Es ist ein wolkenloser sonniger Tag. Man kann weit in das Land sehen. Die Berge im Norden sind deutlich zu sehen. Dahinter liegt die Dickbauchhöhle.
„Sind diese Jäger dahin unterwegs? Sicherlich! Ich muss denen hinterher und vor ihnen an der Höhle sein!“ Mit sorgenvollen Blick macht sie sich auf den Weg.
Stunden vergehen. Die Abenddämmerung legt sich über das Land. Die Sonne hat sich längst zur Ruhe begeben. Die Jäger haben den Weg durch den Wald am großen See genommen. Ihre Spuren sind deutlich zu sehen. Mit Entsetzen sieht sie auch andere, ihr mittlerweile sehr bekannte Abdrücke. Unnatürlich große Abdrücke eines Wolfes verlaufen seitlich an den Stiefelabdrücken der Jäger entlang. Sie hält plötzlich inne. Das Gespür trügt nicht. Sie blickt um sich. Keine Bewegung, kein Geräusch ist zu hören. Kein Surren der Insekten, kein Pieps eines Vogels. Unheimliches Vibrieren ist in der Luft zu fühlen. Der Werwolf ist in der Nähe. Nur kann sie nicht feststellen, ob er sich vor oder hinter ihr befindet. Sie sucht Deckung in naheliegenden dichten Gebüschen. Ihr Bogen mit den Silberpfeilen ist einsatz- und schussbereit. Aufmerksam nimmt die Jägerin die Umgebung in sich auf. Nur ist nichts zu sehen, keine verräterische Bewegung, die ihren wachsamen Blicken auffällt. Grausame Schreie vor ihr reißen sie aus ihrer Konzentration. Sie springt auf und rennt in diese Richtung. Ungeachtet dessen dass sie sich damit in große Gefahr begibt, weil sie nicht weiß, ob ihr Bruder sie erwartet, versucht sie schnell zum Ort des Angriffs zu gelangen. Dabei muss sie eine große Felsformation umgehen, die ihr den direkten Weg zum Lager der zwei Jäger versperrt. Einige Meter vor dem Lager hält Enigma inne. Die Vorsicht nimmt wieder Vernunft an. Die Deckung der Felsformation nutzend, durchsucht sie die Umgebung des Lagers. Das Lagerfeuer beleuchtet weiträumig die Lichtung. Die Leichen der Jäger werden dabei als groteske bewegliche Schatten auf die Bäume geworfen. Die unheimliche Stille ist bedrückend und trügerisch. Wieder ist nichts von ihrem Bruder zu sehen. Der Jägerin geht dieses blutige Katz und Mausspiel zunehmend an ihre Schmerzgrenze. Entschlossen tritt sie in den Lichtschein des Feuers und sich langsam drehend, schreit sie in den Nachthimmel.
„Zeig Dich Werwolf! Hier bin ich! Komm raus! Ich habe langsam Dein blutiges Spiel satt! Noch zwei Menschen die Du sinnlos ermordet hast! Wann hat das endlich ein Ende!“ Minutenlang tut sich nichts. Keine Antwort, keine Regung, kein Anzeichen dass die Bestie in der Nähe ist. Doch sie fühlt seine Anwesenheit. Enigma fällt auf die Knie und weint. Ihr ist das alles zu viel. Auch wenn der Tod ihr Handwerk ist, aber dieses pure Töten aus Spaß kann und will sie nicht verstehen, geschweige denn weiter mitmachen. Selbst die Vampire sind gnädiger und gönnen den Menschen zeitweise Ruhe vor ihren Angriffen. Aber dieser Werwolf, der ihr Bruder war, verhält sich wie ein tollwütiges Etwas, dem es nur um das blutige Vergnügen geht, und nur darum, sie zu quälen. Das ist ihr mittlerweile klar geworden. Diese Erkenntnis zerreißt sie fast innerlich. Ihr ist es egal, wenn jetzt in diesem Augenblick der Wolf auf sie springt und ihrem Leben ein Ende setzt. Sie erschreckt plötzlich bei dem letzten Gedanken. Ihre Hand berührt unbewusst ihren Bauch. Deutlich kann Enigma den Herzschlag des neuen Lebens spüren. Als ob dieses kleine Wesen sie darauf hinweisen will, dass es auch da ist, dass es hier nicht nur um sie geht. Die werdende Mutter steht langsam auf.
„Danke! Dich hätte ich fast vergessen! Entschuldige bitte! Du hast recht, verzeih mir! Hier geht es nicht nur um mich!“ Zärtlich streicht sie über den Bauch.
„Hier bin ich!“
Muttergefühle verwandeln sich in aggressive Entschlossenheit. Schnell gezückte silberne Wurfmesser verlassen nach der 180 Grad-Drehung ihre Hände, in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ihr Bruder in Bestiengestalt war sprungbereit auf den Felsen erschienen. Ihr Gefühl hat sie nicht enttäuscht. Er war in ihrer Nähe und hatte sie von hoch oben beobachtet. Doch ihre Reaktion war selbst für ihn zu überraschend. Mit bemerkenswerter Präzision schlagen die Messer in seine Schulter ein. Sein Sprung wird unkontrolliert, so dass es für die Werferin keinerlei Schwierigkeiten gibt, sich dem Angriff zu entziehen. Der Aufprall vor dem Lagerfeuer ist hart. Die Landung selbst wird zu einem Problem für den Werwolf. Die Schmerzen in seinen Schultern veranlassen seine Vorderläufe zum Einknicken. Er kann den Sturz in das Feuer nicht mehr verhindern. Der Geruch von angesenktem Fell weht Enigma entgegen während sie ihren Bogen vom Rücken reißt. Mit ohrenbetäubendem Geheul versucht der Werwolf, sich vor dem Feuer in Sicherheit zu bringen. Dabei versucht er die Wurfmesser aus den Schultern zu ziehen.
Die Schmerzen, die diese Waffen ihn bereiten, lassen ihn erkennen, dass Silber ihm schadet und ihm Kräfte entzieht. Ihm wird klar, dass die Jägerin, seine Schwester, Waffen besitzt, die für ihn gefährlich, sogar tödlich sind. Er schafft es mit Mühe sich der Messer zu entledigen. Er kann auch mit erheblichem Glück den abgeschossenen Pfeilen ausweichen. Er flieht. Mit entsetzlichem Knurren und Jaulen springt er in den Wald hinein. Enigma ist immer noch am Schießen. Auch wenn sie ihn nicht mehr sehen kann schickt sie weitere Pfeile in den Wald hinein. Ihr wird mit einem Schlag klar, dass Silberwaffen auch Werwölfen erheblichen Schaden zufügen können, dass auch diese Untiere, genauso wie Vampire, dieses Metall verabscheuen und tödliche Angst davor haben, wie vor geweihtem Wasser.
„Na mein Bruder, das hat Dir wohl Hircine nicht gesagt, dass Euresgleichen genauso verwundbar und sterblich ist, wie jede andere Kreatur dieser Welt! Ich werde Dich finden und töten!“ Sie schreit dieses Versprechen förmlich in den Wald hinein. Dieser Schrei ist wie eine seelische Befreiung für sie. Wieder einmal ist sie einer tödlichen Begegnung mit ihrem Bruder um Haaresbreite entkommen. Die junge Frau erreicht die Stelle, wo der verwundete Wolf sich die Wurfmesser herausgerissen hatte. Aufhörend weiter umsonst Pfeile zu verschwenden, wird der Bogen wieder auf den Rücken geschnallt. Der aufmerksame und wachsame Rundumblick verrät ihr, dass ihr Bruder die Gegend verlassen hat. Sie nimmt ein Tuch aus ihrer Hose, während sie ihre Messer wieder aufnimmt. Sie ist dabei, diese leichten und sehr gut ausgewogenen Wurfwaffen vom Blut zu befreien, als sie innehält. Das vorher rote Blut wird plötzlich tiefschwarz und fällt wie feiner Sand von dem silbernen Metall. Damit wird ihr klar, wie gefährlich das silberne Gift diesen Bestien werden kann. Mit innerlicher Befriedigung steckt sie wieder ihre Messer in die dafür eingearbeiteten Armschienen an ihren Unterarmen, die ein kleines Geschenk aus der Dämmerwacht sind. Leicht knackend rasten die tödlichen, schaftlosen Wurfgeschosse in ihre vorgesehene Lage ein.
Sie bleibt im Schutz des Lagerfeuers, nachdem sie notdürftig die Leichen der zwei Jäger im Wald mit Ästen und Zweigen bedeckt hat. Ihr ist unwohl dabei, die Toten könnten andere wilde gefährliche Tiere heranlocken. Aber die Wärme des Feuer wiegt die Jägerin in Sicherheit. Sie ahnt, dass die Wunden des Werwolfs die Verfolgung einfacher machen werden. Dass diese sich nicht so schnell schließen werden, was die Selbstheilung dieser Bestien eigentlich erledigt. Ihr Geist ergibt sich dem Schlaf, zu sehr hat die letzte Begegnung mit ihrem Bruder an ihren Kräften und ihrer Seele gezerrt. Auch die kaum geschlafenen Nächte zuvor fordern ihren Tribut. Im Unterbewusstsein spürt sie weiches Fell an ihrer Wange. Mit einem Schlag wird sie wach und springt auf. Die Sonne seht schon hoch am hellblauem Himmel. Mittagszeit ist angebrochen. Ziemlich lange hatte sie sich also dem Schlaf ergeben. Sie schaut erschrocken auf das Nachtlager. Schreck wechselt in beruhigtes Lächeln.
Ein kleiner übermütiger Fuchswelpe hatte sich neben sie gelegt und ist ebenfalls eingeschlafen. Vorsichtig geht die Frau in die Knie.
„Hast Du meinen Schlaf bewacht, mein kleiner Held? Wie lieb von Dir!“ Sanft krault sie das kleine Fellknäul am Nacken. Sie hört ein wohliges Schnurren. Mit geschlossenen Augen dreht sich der junge Fuchs auf den Rücken, damit andeutend, dass er auch gern am Bauch gekrault werden möchte. Enigma erfüllt ihm den Gefallen.
„So mein kleiner Bewacher, habe aber keine Zeit mehr, mich weiter mit Dir zu beschäftigen!“
Als ob er das gehört hätte, öffnet er seine Augen und springt auf. Mit wedelnden Schweif rennt er an der Felsformation entlang und ist bald verschwunden. Lange schaut Enigma ihm hinterher. Die Natur kann so schön und friedlich sein aber auch sehr gefährlich. Unbewußt blickt sie zu den zwei mit Ästen und Laub bestückten Hügeln, unter denen die toten Jäger liegen.
„Ich schwöre Euch! Ich werde meinen Bruder zur Verantwortung ziehen! Das kann nicht mehr so weitergehen. Dieses sinnlose Töten wird aufhören! Das verspreche ich Euch!“
Sie macht sich bereit die Verfolgung wieder aufzunehmen. Mit entschlossenem Schritt geht sie in die Richtung, in welche ihr Bruder geflohen ist. Die Spuren seiner Wunden sind deutlich zu sehen. Die winzigen schwarzen Kristalle seines geronnenen Blutes heben sich gut vom Boden ab und glitzern im Sonnenschein. Die Spur führt am großen See entlang. Nach Norden weist die Fährte. Also in die Richtung wo sich auch die Dickbauchhöhle befinden soll.
Die Jäger hatten recht. Das Versteck der Bestie befindet sich hinter dem Eingang zur besagten Höhle. Enigma hat sie nach wenigen Stunden erreicht. Doch irgendetwas hindert sie daran, diese sofort zu betreten. Beklemmende Furcht ist das Hindernis. Sie kann nicht erahnen, was sich hinter dem dunklen Schlund befindet. Nebelschwaden treten aus der Öffnung und tanzen wie Geister im Schein der untergehenden Sonne. Was wird sie darin erleben? Wird ihr Bruder allein sein oder lauern noch mehr grauenhafte Gefahren darin. Oder werden die Legenden wahr und Hircine stellt sich selbst gegen sie? Sich auch noch mit einem Gott anzulegen, nicht auszumalen, wie das ausgehen soll!
Da die Sonne langsam am Horizont untergeht, errichtet sie in der Nähe des Eingangs ihr Nachtlager. Während sie am Feuer sitzt, füllen Speise und Trank ihre Kräfte wieder auf. Dabei schaut sie immer wieder in Richtung Eingang. In stetiger Erwartung, dass der Werwolf sein blutiges Handwerk fortsetzt, legt sie sich nach dem Abendmahl auf die Lauer. An Schlafen denkt sie nicht. Sie hegt die Hoffnung, dass hier am Eingang der Kampf, die Jagd, die Verfolgung, das sinnlose Töten ihr endgültiges Ende finden. Fallen dafür, dass es für den Bruder kein Entrinnen gibt, hat sie zur Genüge ausgelegt. Sollte er aber wieder in die Höhle flüchten, würde Enigma ihm folgen, egal was sie dort erwartet. Das anstrengende Bewachen des Eingangs zur Höhle macht sie aber müde. Es ist weit nach Mitternacht. Und die trügerische Ruhe tut das Übrige. Sie schläft in ihrem Versteck ein. Laute Männerstimmen lassen die Jägerin hochschrecken. Ein Mann ist in eine ihrer Fallen getappt. Sein Jammern ist weit zu hören. Enigma kommt aus ihrem Versteck raus. Drei weitere Männer richten ihre Bögen auf sie. Sie erkennt Michel, Lod und noch einen Mann aus Falkenring. Als man sie erkennt, senken sie ihre Waffen wieder.
„Also Ihr habt hier die Fallen ausgelegt, in welche mein Sohn getappt ist!“
„So ist es, aber was macht Ihr hier? Seid Ihr alle von Sinnen? Habe ich nicht ausrichten lassen, dass man keine weiteren Jäger schicken soll!“ Sie geht zu dem jungen Mann. Mit entschuldigenden und beruhigenden Gesten entfernt sie den hölzernen Pfahl, der sich in den Muskel des Schienbeines gebohrt hatte. Sie versorgt danach die Wunde mit blutstillender und schmerzlindernder Salbe, und legt einen festen Verband an. Der junge Mann bedankt sich bei Ihr. Die Salbe verrichtet ihre wohltuendes Werk. Die Schmerzen lassen ersichtlich nach. Kurze Zeit später kann er wieder aus eigener Kraft aufstehen.
„Wer sollte uns was ausrichten? Der Jarl ist außer sich vor lauter Sorge nach Euch! So hat er ein paar Männer zusammen getrommelt, die den Mut haben, nach Euch zu suchen!“ Lod blickt dabei verwirrt auf die Thane.
„Vor ein paar Tagen traf ich vier Jäger, darunter war ein Khajiit. Ich habe ihn und seine Freunde dazu bewegen können die Jagd abzubrechen und zurückzukehren. Auch sollten sie andere dazu überreden, dasselbe zu tun. Und meinem Schwiegervater auszurichten, dass er keine weiteren Männer aussenden soll, die sich an dieser gefährlichen Verfolgung beteiligen!“ Enigma ist sichtlich aufgebracht. Sie kann es einfach nicht verstehen, dass man ihre Warnungen einfach so in den Wind schlägt.
„Von den vier beschriebenen Männern wissen wir nichts, auch wenn uns Qanaro, der Khajiit sehr gut bekannt ist. Ein sehr guter Jäger! Hervorragender Kenner dieser Gegend! Wir haben ihn und seinen Bruder Ma'Dat aber seit Tagen nicht mehr gesehen! Er und die anderen Begleiter scheinen wohl eigene Wege gegangen zu sein und haben nicht auf Euch gehört!“
„Sind denn nicht schon genug umgekommen? Verdammt nochmal, ein Werwolf ist kein dahergelaufener Säbelzahntiger! Das sind von böser Gotteshand erschaffene Bestien, und keine von der Natur selbst zum Leben erweckten Tiere!“
„Ihr habt ja recht! Nur was sollten wir machen! Euer Schwiegervater weiß auch nicht mehr, was das Richtige ist!“
Plötzlich ist schneller Hufschlag zu hören. Mehrere Reiter nähern sich ihrer Position, darunter auch der Jarl selbst. Die Reitertruppe hält kurz vor der versammelten Runde an und steigt ab. Ihr Schwiegervater befiehlt seinen Soldaten sich in der Gegend zu verteilen und aufzupassen, während er sich Enigma mit seinem Huscal nähert.
„Bei allem Göttern, Dir geht es gut! Die Sorge um Dich macht mich fast wahnsinnig!“ Er will sie in seine Arme schließen, aber die junge Frau entzieht sich wütend der Umarmung.
„Seid Ihr alle noch klar im Geist? Glaubt Ihr wirklich, eine in die Enge getriebene Bestie lässt sich von diesem Aufgebot beeindrucken? Schau Dir doch Deine Männer an, die haben mehr Angst in den Augen als Kampfeswillen! Bei allen Göttern, kehrt um, bevor hier noch Schreckliches passiert! Eure Waffen bringen hier nichts!“ Kopfschüttelnd geht die Frau zu ihrem Lager zurück und legt ihre restlichen Waffen an. Der Jarl ist ihr gefolgt.
„Du gehst mir nicht allein da hinein, dass das klar ist! Das lasse ich nicht zu!“
„Wer will mich aufhalten, hm? Ich beende das hier! Das ist eine Sache zwischen meinem Bruder und mir!“
„Bitte tue es nicht, ich will nicht auch noch Dich verlieren. Denk doch an das Kind in Dir!“
„Wenn Du die Leichen sinnlos getöteter Männer und das abgeschlachtete Wild gesehen hättest, die mein Bruder meinetwegen zurückgelassen hat, würdest Du vielleicht genauso handeln wie ich. Und ja ich denke an das ungeborene Kind! Jeden Augenblick, wo eine gefährliche Situation heraufbeschworen wurde, waren und sind meine Gedanken bei ihm. Aber ich kann nicht damit weiterleben, wenn mein eigen Fleisch und Blut weiter diesem Töten frönt. Für ihn ist es ein Spiel, für mich tödlicher Ernst und seelische Tortur. Und ich habe dieses Spiel meines Bruders satt! Niemand wird mich aufhalten, auch Du nicht, es hier und jetzt, ein für alle mal zu beenden!“ Sie ruft Lod zu sich. Als er bei ihr anlangt, fragt die Jägerin ihn.
„Wie viel Silberwaffen hast Du auf Vorrat?“
„Hm,... einige Schwerter und Sperre, auch einige Bolzen und Pfeile mit Spitzen aus diesem Metall!“
„Was hast Du vor Enigma!“ Der Jarl blickt sie verwirrt an.
„Ich glaube nicht, dass Du diese Männer hier abziehst. So gut kenne ich Dich mittlerweile. Aber wenn sie schon einmal hier sind, dann soll es eben so sein. Ich weiß, dass Du Dich auch nicht zu einer Rückkehr umstimmen lässt. Also habe ich mir nebenbei Gedanken gemacht. Lod wird zurückreiten, Falkenring ist ja nicht weit entfernt. Er soll alle Silberwaffen zusammenpacken und hierher bringen. Dabei sollen auch seine Begleiter und vor allem der verletzte junge Mann zurückkehren. Lod!... Kehre dann so schnell wie möglich zurück!“
„Lod, mein Huscal wird Euch begleiten und Euch helfen! Beeilt Euch!“ Der Jarl gibt seinem Leibwächter letzte Anweisungen.
Lod´s Begleiter helfen dem verwundeten Mann auf das Pferd. Dann steigen sie auf und treiben ihre Pferde zur Eile an. Lod und der Leibwächter des Jarls reiten vor. Enigma schaut ihren Schwiegervater an, der immer noch nicht versteht, was das zu bedeuten hat. Die rothaarige Kriegerin klärt ihn auf.
„Was ich vorhabe? Deine Männer mit dem richtigen Metall bewaffnen. Nur Silberwaffen können Werwölfen ernsthaften Schaden zufügen, sie sogar töten. Aber sie werden nicht mit reingehen, sondern sich vor dem Eingang verbarrikadieren. Falls der Werwolf versucht die Höhle zu verlassen. Dann seid Ihr alle es, die meinem Bruder den Garaus macht, wenn er versuchen sollte zu fliehen oder ich scheitere! Keine Gefangennahme, ihr müsst ihn töten! Das musst Du mir versprechen!“
„Mein Kind, kann ich Dich nicht von dem Vorhaben abbringen, da allein hinein zu gehen!“
„Nein, um nichts auf der Welt! Mein Bruder, oder das was von ihm vielleicht noch übrig ist, wird keiner lebenden Seele mehr ein Leid zufügen. Nie mehr! So wahr ich hier stehe!“
„Also gut ich verspreche es Dir, ich hoffe nur, Du weißt was Du da tust! Auch wenn ich es nicht gutheißen kann, aber ich verstehe Dich vollkommen. Nur verspreche mir genauso, dass Du vorsichtig bist und hoffentlich lebend zurückkehrst! Das ist alles, was ich mir wünsche!“
„Ich werde auf das Kind und mich achtgeben! Das verspreche ich Dir! Aber lass uns die Vorbereitungen treffen bis Lod zurückkehrt!“
Der Jarl ruft seine Männer zusammen. Unter der Anleitung Enigmas gehen alle an die Arbeit. Bäume werden geschlagen und von den Ästen befreit. Gerade Äste werden in spitze Pfähle verwandelt, welche man dann an der mannshohen Barrikade, die im Halbkreis um dem Eingang errichtet wird, anbringt. Vorhandene Seile und Lederriemen werden zu einem Netz geflochten, welches man dann bei Fertigstellung des Bollwerkes über den Eingang und die Barrikade spannen wird. Darin werden auch die silbernen Bolzen eingesetzt und befestigt, sodass eine Flucht nach oben aussichtslos erscheint, wenn die Bestie sich nicht daran verletzen möchte.
Die Arbeit geht schnell und präzise vonstatten. Alle wissen um was es geht. Ein Scheitern soll von vornherein unmöglich sein.
Noch bevor die Sonne untergeht sind der Schmied und der Leibwächter zurück. Vorausschauend hat der Meister des Metalls Silberbarren schmolzen und zu dünnen Blechen verarbeitet. Diese werden schnell an den Spitzen der Pfähle befestigt. Auch die mitgebrachten Bolzen werden wie vorgesehen in das Netz eingearbeitet und befestigt. Kurze Zeit später ist die Barrikade fertig.
Während sich die Soldaten mit den neuen Waffen aussstatten, begutachtet sie zusammen mit Lod und dem Jarl das Bollwerk.
Enigma dankt Lod sehr, ob seiner Voraussicht. Die Falle ist perfekt und bietet den Verteidigern ausreichend Schutz. Auch den Männern des Jarls ist anzusehen, dass ihr Vorhaben den entsprechenden Erfolg verspricht. Mit neuem Mut und entschlossenem Kampfgeist, bereiten sie alles Notwendige für die Nacht vor.
Der nächste Morgen soll also die Entscheidung bringen. Alle sind voll der Hoffnung auf ein erfolgreiches Gelingen. Nach einem ergiebigen und kräftigen Frühstück treffen alle Anwesenden die letzten Vorkehrungen. Seit Tagen konnte sie endlich friedlich, ungestört und ohne Alpträume schlafen. Die letzte Nacht war wie eine Wohltat, die ihre Kräfte vollkommen erholen ließ. Auch wenn sie immer noch nicht das Handeln ihres Schwiegervaters gutheißt, waren die letzten Stunden unter der Sicherheit seiner Männer wie ein Segen der Götter für Enigma. Gestärkt von den neuen Kräftenmacht sie sich fertig für das endgültige Aufeinandertreffen mit ihrem wahnsinnigen Bruder. Schwiegervater Siddgeir schaut ihr dabei zu. An ihm ist zu erkennen wie stolz er auf diese Frau ist. Mit Tränen in den Augen denkt er dabei an seinen getöteten Sohn. Eine bessere Frau hätte dieser nicht heiraten können. Doch wie hart das Leben sein kann, wird ihm mit der Erinnerung an ihn wieder bewusst. Die Sorgen eines Vaters veranlassen Siddgeir dazu, die letzten Versuche zu unternehmen, sie von ihrem Vorhaben des Alleingangs abzuhalten. Doch als seine Blicke sich mit den entschlossenen Augen der Jägerin treffen, gehen die halbherzigen Versuche in Luft auf. Wortlos umarmen sich beide. Kurz darauf hat der dunkle Schlund des Eingangs zur Höhle die Kriegerin aufgenommen. Der Jarl gibt die letzten Befehle. Seine Männer nehmen die vorgesehenen Positionen ein. Das lange Warten beginnt.
Enigma bleibt kurz nach dem Eingang stehen. Der schmale, nach unten führende Weg ist mit Nebelschwaden bedeckt. Entzündete Fackeln beleuchten spärlich den von dunklem Gestein flankierten Abstieg. Sie nimmt die eigenartige Luft und mystische Atmosphäre in sich auf. Langsam beginnt die Jägerin mit schussbereitem Bogen den Weg nach unten zu gehen. Was sie nach der Biegung sieht, lässt sie nur noch staunen. Als ob sie in eine andere Welt eingetaucht wäre, breitet sich vor ihren erstaunten Augen ein nicht zu glaubendes Bild aus. Ein nächtlicher roter Himmel begrüßt die Frau. Sie glaubt es einfach nicht. Wie kann dies sein?Draußen ist die Morgensonne aufgegangen aber hier ist es Nacht. Der große „blutrote“ Mond ist der Verursacher des Erscheinungsbildes des Horizonts. Das Gestirn ist hinter den Bäumen des hoch gelegenen Felsplateaus gut zu sehen. Ein rauschenderWasserfall ist zu ihrer Rechten zu sehen. Raubvögel drehen ihre Kreise am Himmel. Wie groß diese mystische Welt ist, kann sie nicht erkennen. Aber das kann nur ein Gott erschaffen haben. Dieses Mysterium ist nicht real für sie, aber trotzdem steht sie davor, auch wenn sie ihren Augen nicht traut.
Doch dann sieht die rothaarige Kriegerin das Lager vor sich. Schlagartig wird ihr klar, dass diese Welt real ist. Um ein großes Lagerfeuer herumwurden notdürftige kleine Zelte aufgestellt. Der mit Blut bedeckte Boden wird unheimlich von Feuern beleuchtet. Sie hört ein Stöhnen. An einen kleinen Felsen gelehnt, erkennt sie einen schwer verletzten Khajiit, den sie vor Tagen schon getroffen hatte. Das kann nur Qanaro sein. Sie rennt zu ihm und fällt vor ihm auf die Knie.
„Qanaro, seid Ihr es? Bei allen neun Göttern, warum habt Ihr nicht auf mich gehört? Wo sind Eure Begleiter?“
„Ich glaube sie sind alle tot. Auch mein Bruder, der hinter Euch liegt!“ Mit schmerzverzerrter Mimik zeigt er auf die Stellewo sein Familienmitglied liegt. Ihn hat es schwer erwischt. Schwere, immer noch blutende Wunden sind an seinem Unterleib zu erkennen. Er stöhnt auf als Enigma versucht seine verschränkten Arme zu lösen. Jetzt kann sie das volle Ausmaß seiner schweren Verletzungen erkennen.
„Wie ist das passiert, war es mein Bruder?“ Mit geschickten Händen löst sie die blutgetränkten Fetzen seines Lederhemdes von seiner Haut. Die Wunden sind zwar tiefaber nicht lebensgefährlich. Nur der immense Blutverlust macht ihr Sorgen.
„Wir sind schon seit ein paar Tagen hier. Aber nichts haben wir von der Bestie gesehen. Er war wohl nicht hier. Vor zwei Tagen, wir hatten kaum unser Lager hier erreicht, griff der Werwolf unerwartet an. Er kam gerade in die Höhle. Ich konnte erkennen, dass es ihm nicht gut ging. Wir vier waren ihm trotzdem einfach nicht gewachsen. Als Erstes hat es unseren Magier und Heiler Mendrelh erwischt. Er war vorausgegangen, um das Feuer anzufachen. Wir sahen nur noch wie unser Freund an seinem Zelt zu Boden ging. Wir wollten ihm helfen, nur war es schon zu spät. Meinem Bruder Ma'Dat erging es nicht anders. Durash Ugrugdb, eine Ork, wurde als nächste angefallen, sie hatte keine Chance. Ein paar Pfeile von mir haben ihn dabei getroffen. Nur erzielten sie nicht die erwünschte Wirkung. Dann war ich an der Reihe. Das Resultat seht Ihr ja! Ich hätte auf Euch hören sollen. Aber Ihr seid selbst eine hervorragende Jägerinund wisst um die Macht der Jagd, der man sich einfach nicht entziehen kann. Es ist wie eine Sucht. Wir dachten, wir würden es schaffen, wir waren uns zu sicher. Verdammt tut das weh!“
Enigma versorgt mit Verbänden und ihrer bewährten Salbe seine Verletzungen, nur braucht er unbedingt einen Heiler, der sich fachmännisch um seine Wunden kümmern kann.
„Hilfe ist vor der Höhle, nur glaube ich kaum, dass Ihr es ohne weiteres da hinaus schafft. Nur im Moment muss ich mich um meinen Bruder kümmern. Es reicht, noch mehr Tote ertrag ich einfach nicht mehr. Ich muss es beenden!“
„Das kann ich gut nachvollziehen! Ich werde es schon solange aushalten, vorausgesetzt Ihr schafft es, der Bestie ... Eurem Bruder den Garaus zu machen! Aber so wie ich sehe, seid Ihr dazu fest entschlossen!“
Enigma hüllt ihn in Felle und Decken ein, so gut es geht. Danach schaut sie sich im Lager um. Der Ork und dem Heiler ist nicht mehr zu helfen. Der Tod hat schreckliche Arbeit geleistet. Plötzlich hört sie ein leises Geräusch. Es kommt aus der Richtung, wo der Bruder von Qanaro liegt.
Sie geht schnell zu ihm, als sie die Bewegung bemerkt. Aber sie erkennt schnell, dass ihre Hilfe zu spät kommt. Es waren die letzten Atemzüge des jungen Khajiit. Er stirbt in ihren Armen. Mit der rechten Hand verschließt sie seine erstarrten Augen. Am liebsten würde sie losschreien, ihrer innerlichen Wut einfach freien Lauf lassen.
„Ma`Dat, ... Du warst das letzte Opfer meines Bruders, das schwöre ich Dir!“ Mit diesen Worten legt sie den Leichnam ab und breitet eine Decke über ihn. Langsam steht sie auf. Qanaro weint leise. Enigma geht auf ihn zuund tröstet ihn.
„Werte Thane, ein direkter Zweikampf ist zu gefährlich, vor allem wenn er verletzt ist. Ich konnte seine rasende Wut trotz der Wunden, die Ihr ihm wohl zugefügt habt, spüren. Ihr solltet Euren Bogen nehmen und ihn einfach erschießen, aus einer guten Deckung heraus. Das ist die beste Lösung. Einem Zweikampf seid Ihr unterlegen, auch wenn Ihr Euch dazu fähig fühlt. Viel Glück, und beendet es!“ Mit Tränen in den Augen umhüllt ihn die schmerzlindernde Ohnmacht. Vorsichtig bettet Enigma seinen Kopf auf das Fell, das sie ihm unter den Kopf schiebt. Mehr kann sie erst einmal nicht für ihn tun.
Nachdenklich steht sie auf. Die Kriegerin stellt fest, dass der erfahrene Jäger recht hat. Ein verwundetes Raubtier ist noch gefährlicher, wenn es in die Ecke getrieben ist. Die Frau ist in seinem Gebiet. Eine direkte Konfrontation ist aussichtslos, solange sie nicht die Umgebung kennt. Nur hat sie keine Zeit, sich ausreichend in dieser Höhle umzuschauen, ohne zu wissen, wo sich ihr Bruder befindet, wo er auf der Lauer liegt. Vor allem sieht sie nur einen Weg, der in das Herz dieser Welt führt. Sie wird den Ratschlag des Khajiit annehmen. Enigma nimmt den Bogen fest in die Hand, kontrolliert noch einmal die komplett geschmiedeten Silberpfeile. Das helle Metall nimmt die Farbe des Blutmondes an. Ihre Sinne sind geschärft, sie ahnt, dass ihr Bruder sie schon erwartet. Er weiß, dass sie hier ist. Er ist im Vorteil. Sie nähert sich langsam dem Weg. Hockend legt sie zwei Pfeile gleichzeitig auf die Sehne. Sie ist sehr geübt darin, mehrere Pfeile mit einmal abzuschießen. So vorbereitet geht sie langsam am Weg entlang, die Felswand als Deckung nutzend. Sie sieht eine nach links verlaufende Biegung vor sich. Ein Schwarm Fledermäuse, der vor ihr aufsteigt, erschreckt sie nur leicht. Sie hält inne, ist nun kurz vor der Kurve. Enigma spürt ihn. Der Bruder ist ganz in der Nähe. Vorsichtig geht die Frau vor und schaut um die Ecke. Ihr Blick geht an der hohen Felswand hinauf. Hoch oben, den blutroten Mond im Rücken, sieht die Kriegerin den Werwolf in aufrechter Haltung stehen. Er schaut wachsam geradeaus. Seine grellgelben Augen scheinen seine Schwester direkt anzuschauen. Aber er hat sie noch nicht entdeckt.
Enigma nimmt allen Mut zusammen. Sie spannt den Bogen. Sie hebt den Bogen an und zielt in die Richtung, wo ihr Bruder steht. Mit einem kräftigen Sprung seitwärts verlassen die Pfeile die Sehne. Abrollend sieht sie zu ihrem Bruder hinauf. Der Werwolf hat zwar die glitzernden Erscheinungen gesehen und auch den Sprung seiner Schwester, doch zum Ausweichen ist es zu spät. Die Jägerin hat sehr gut gezielt. Die tödlichen Geschosse schlagen mit voller Wucht ein, bohren sich tief in den Oberkörper, und die Spitzen durchschlagen den Rücken. Er heult grausam auf. Die Bestie verliert das Gleichgewicht. Kopfüber stürzt die Bestie den Felsen herunter. Der Aufprall ist dumpf und hart. Enigma legt einen weiteren Pfeil auf die Sehne ihres Bogens. Auf den Kopf zielend bewegt sie sich langsam zum Werwolf. Als er sich bewegt und versucht nach vorn zu kriechen, feuert sie das silberne Gift ab. An der Schulter getroffenbleibt er reglos liegen. Nur seine mit Klauen bestückten Hände graben sich in den Boden des Weges ein. Die Schwester verharrt. Sie fühlt, dass der Tod sich langsam über ihren Bruder legt. Mit schussbereitem Bogen nähert sie sich nun dem vor ihr liegenden Wolf. Von ihm geht keine Gefahr mehr aus. Die Geschosse und der tiefe Fall haben ihren Bruder tödlich verletzt.
„Schwester! ... Enigma! ... Endlich ist es vorbei!“
Sie glaubt ihren Ohren nicht zu trauen. Die ihr so vertraute Stimme ihres geliebten Bruder ist zu hören. Sie lässt den Bogen fallenund fällt vor ihm auf die Knie. Weinend legt sie ihre Arme um den Körper.
„Warum das alles? Wie ist es nur dazu gekommen? Jorgens sag mir bitte, warum Du es getan hast?“
„Ich habe vor Jahren einen Ring gefunden. Dass er mit einem Fluch behaftet war, merkte ich erst, als ich ihn anlegte. Irgendetwas ging in mir vor. Ich versuchte den Ring wieder abzuziehen, aber es gelang mir nicht. Es war auch schon zu spät dafür. Der Werwolf übernahm meinen Geist, meinen Körper. Ich konnte mich nicht mehr dagegen wehren, war nicht mehr ich selbst. Du musst mir glauben, als der Werwolf in mir unsere Familie, Deinen Mann und wen auch immer tötete ... ich habe versucht mich zu widersetzen. Nur es war sinnlos. Die Natur der Bestie war zu jederzeit übermächtig. Es tut mir so schrecklich leid! Das Einzige was blieb, war die Hoffnung, dass Du es schaffst ihn zu vernichten. Dieser Glaube war die letzte Chance meiner Rettung. Auch wenn es meinen Tod bedeutet. Danke liebste Schwester, dass Du mich endlich erlöst hast. Endlich ist dieses grausame Dasein vorbei! Bitte glaub mir, ich wollte es nicht!" Mit diesen Worten werden die gelben Augen schwarz. Er verwandelt sich zurück in den Menschen, zu dem Bruder, den sie kannte und liebte. Sie erblickt am Ringfinger seiner rechten Hand das verfluchte Schmuckstück. Mit der Rückverwandlung zerfällt auch dieses in schwarze winzige Kristalle. Ein Windhauch zerstäubt die letzten Reste dieses Fluchs voller Leid und blutiger Ereignisse.
Schreiend, von Weinkrämpfen gebeutelt, nimmt sie Abschied von dem letzten Mitglied ihrer Familie. Der Trost, dass das blutige und sinnlose Töten endlich vorbei ist, wiegt nicht ihr seelisches Leid und ihren Schmerz auf.
„Wenn Dein geliebter Jarl uns nicht für den Werwolf bezahlen will, wird er sicherlich ein gutes Sümmchen für Dich springen lassen!“
„Neben „Großwildjäger“ auch noch Entführer und Erpresser. Schöne Nebenberufe habt ihr Drei! Der Werwolf ist Euch wohl eine Nummer zu groß!“ Hustend und gepresst, mit leicht gefährlichem Unterton, ist in ihrer Antwort auch Sarkasmus zu erkennen.
„Wow, die Kleine hat nicht nur Mumm in den Knochen, sondern auch noch eine große Klappe!“ Falem Bey, der Argonier, ist von ihrer Antwort nicht gerade begeistert. Zur Bestätigung seines Unwillens umklammern seine Hände noch fester den rechten Arm der Rothaarigen.
„Am liebsten würde ich ihr Manieren beibringen. Die Abfuhr beim Jarl ist schon Grund genug, ihn spüren zu lassen, dass man das mit uns nicht ungestraft macht!“
„Was habt ihr drei denn erwartet, hm? Dass man Euch in dieser Situation, in welcher sich Falkenring befindet, mit offenen Armen empfängt? Vor allem nicht auf diese unverschämte Art und Weise, Gold aus dem Leiden anderer zu holen! Muss ja ein erhabenes Gefühl sein, sich daran auch noch zu ergötzen!“
Branmark schaut sie unwirsch an. Während er sich wieder seinem stinkenden Tabak widmet, blickt er in die unerschrockenen hellblauen Augen. Irgendwie ahnt er, dass diese Aktion ein böses Ende nimmt.
Aber diese Einsicht kommt zu spät. Auch wenn er in Erwägung zieht sie deshalb freizulassen. Sie bedeutet mehr Ärger, als ihm lieb sein wird. Ihr Blick verdeutlicht zunehmend seine Annahme, das sie es nicht dabei belassen wird. Sie würde auch ihn und seine Freunde jagen. Dessen ist er sich sicher. Für ihn und seine Begleiter gibt es nun kein Zurück mehr. Er versinkt in weiteres Nachdenken.
Seine Freunde wissen nicht, was sie jetzt machen sollen. Ihre etwas verwirrten Blicke richten sich auf ihren Anführer.
„Was machen wir jetzt mit Ihr?“ Gremgoshgall bekommt keine Antwort von Branmark.
Trotz der Kopfschmerzen und des eigenmächtigen Handelns ihres Gehirns, versucht die Jägerin, ihre Erinnerungen und Gedanken zu sortieren.
...
Seit Stunden war sie unterwegs. Es hatte angefangen zu regnen. Auch wenn das dichte Laub der Bäume sich schützend über die Fährte legte, würde es nicht lange dauern, bis auch sie sich der schweren Nässe ergeben mussten. Das dies das Spurenlesen erschwerte, wurde ihr vollkommen klar. Auch dass der Tag sich dem Abend zuneigte, verbesserte ihre Chance einer schnellen und erfolgreichen Verfolgung des Bruders nicht besonders. Die zunehmende Dunkelheit zwang sie dazu, vom Pferd zu steigen. Während sie versuchte in gebückter Haltung der Spur zu folgen, trottete Frost hinter ihr her.
Es war mittlerweile sinnlos, sich nach den Spuren zu richten. Der Regen hatte seine vernichtende Wirkung an der Fährte vollzogen. Ihre Augen taten weh. Ihr bleib nichts anders übrig als die Jagd vorerst abzubrechen und einen Platz für ein Nachtlager zu suchen.
Die stundenlange und anstrengende Verfolgung schwächte ihre Wachsamkeit.
Frosts Warnung kam zu spät. Während sie sich aufrichtete, schlug jemand sie nieder. Das Errichten eines Nachtlagers hatten schon andere übernommen.
Sie erwachte in einer Höhle. Als man das bemerkte wurde sie von zwei ihr bekannten Männer, einem Ork und einem Argonier hochgerissen. Man hatte sie nicht gefesselt, zu sicher waren die drei Jäger, die Enigma in der Jarlhalle kennenlernte. Nur ihre Waffen hatte man ihr genommen. Sie lagen an einem nahem Lagerfeuer, an dem Branmark seine Tabakpfeife entzündete.
Das Zusammentreffen kam schneller zustande, als sie erwartet hatte. Nur deren Vorhaben überraschte selbst sie.
…
Dass Branmark mit seinen Vorahnungen recht behalten sollte, bahnt sich mit grausamer Wahrscheinlichkeit an. Noch merken nicht alle Anwesenden die stetig wachsende Gefahr einer sich nähernden Bedrohung. Nur eine spürt diese Annäherung.
Enigma´s geschulte Aufmerksamkeit war wohl mit dem Schlag auf den Kopf noch mehr verstärkt worden.
Sie sieht die grellgelben Augen eines Wolfs, welche sich unweit am Eingang des Unterbaus in der nächtlichen Finsternis abzeichnen und langsam nähern. Sie weiß sofort zu wem diese gehören. Sie spürt den nahenden Bruder. In ihr wächst eine noch nie dagewesene Furcht. Aber auch eine Chance sich aus der Gewalt der drei Männer zu befreien. Nur das Wie ist noch nicht erkennbar. Die ahnungslosen Jäger sind sich der drohenden Gefahr nicht bewusst. Allein dieser Umstand beweist die Tatsache, dass ihr bisheriger Jagderfolg mehr dem Zufall entsprach, als einer erfahrenen Ausübung dieses Berufs. Jeder andere Jäger, der dieses Handwerk ausübt, würde schon im Ansatz merken, das Gefahr in Verzug ist. Das ist der große Unterschied zwischen den drei Möchtegern-Jägern und Enigma. Ihre Ahnungslosigkeit und Überschätzung wird hier ein entsetzliches Ende finden. Das ist der erfahrenen Jägerin absolut bewusst. Sie schwankt zwischen Warnen oder Geschehen lassen, und erst einmal an sich denken. Sie entscheidet sich für die erste Alternative. Auch wenn es diese Männer verdient hätten, will sie nicht, dass das vorauszusehende grausame Ende unvorbereitet und überraschend über sie hereinbricht. Doch es ist zu spät.
Der Angriff des Werwolfs kommt urplötzlich, mit wahnsinniger Geschwindigkeit und unglaublicher Kraft. Ein Satz, ein darauf folgender Klauenhieb und die Pfeife wird Branmark regelrecht in den Mund hinein gepresst. Dabei wird er, immer noch sitzend, ausgehoben. Sein Körper zerschellt an der naheliegenden Gesteinswand. Laut ist zu hören, wie dabei die Knochen nachgeben. Er bleibt regungslos liegen. Seine weit aufgerissenen Augen drücken nur überraschendes Entsetzen aus. Das Brechen der Knochen war wie ein Weckruf für die Anderen. Der Argonier stürzt sich mit voller Wut und gezogenem Langdolch auf den Werwolf. Noch kann Falem einem weiteren kraftvollen Hieb ausweichen. Dabei verletzt er die Bestie an der linken Flanke. Mit entsetzlichem Geheul schlägt das Untier um sich. Der Argonier wird mehr und mehr in die Enge getrieben. Doch plötzlich erstarrt er in seiner Bewegung. Mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck und mit einem überraschenden Aufschrei blickt er auf seine Brust, genau da, wo sich das Herz befindet. Die scharfe Klauenhand des Werwolfs traf ihn mit unbarmherziger Härte. Bei so einem Aufprall wäre er normalerweise ebenfalls mit dem Rücken gegen die Wand geschleudert worden. Diesmal aber nicht.
Mühelos bohrte sich der muskulöse Arm des Monsters durch die schuppige Haut Falems. Am Rücken wieder rauskommend, hält die Klaue das immer noch leicht pochende Herz fest umschlungen. Pulsierendes Blut verlässt das herausgerissene Organ, und benetzt den Untergrund der Höhle mit der selben roten Flüssigkeit, welche auch aus der langen Wunde des Wolfes entweicht.
Mit dem Stillstand des Herzes erlischt auch das Leben des Opfers. Nachdem der Arm wieder aus dem toten Körper des Argoniers gezogen wird, fällt dieser augenblicklich zusammen. Während sich die Echse und der Wolf im ungleichem Zweikampf befinden, nutzt Enigma ihre Chance. Der Ork hält immer noch die Gefangene fest. Ungläubig und mit vollkommenem Entsetzen verfolgt er die Ereignisse, die sich vor ihm abspielen. Er könnte den Versuch unternehmen zu fliehen. Doch irgendwie ist er an seiner Position eingefroren. Nur sein immer festeres Zudrücken des linken Arms der Frau beweist ihr, dass er noch nicht vor lauter Angst gestorben ist. Es reicht ihr. Eine rasche Bewegung ihres umklammerten Armes befreit sie etwas aus seinem Griff.
Ein gezielter seitlicher Tritt an sein rechtes Knie erlöst sie vollständig von der Umklammerung. Sie springt nach vorn, und beim Vorwärtsrollen ergreift sie ihr Schwert. Aber noch bevor sie sich um den Ork kümmern kann, ist auch schon die Bestie bei ihm. Die mit überdimensionalen Klauen besetzten Hände umschließen den Kopf. Eine schnelle ruckartige Verdrehung und der kopflose Körper fällt auf den staubigen Boden. Auch der Kopf des Enthaupteten macht Bekanntschaft mit der Höhlenwand. Mit voller Wucht geschleudert, zerplatzt dieser mit schauerlichem Krachen. Nach dem dritten Opfer heult ihr Bruder mit erhobenen Haupt die Decke des Unterschlupfs an. Dieses Geheul ist grausam und ihr Gehör droht zu platzen.
Aber diese unmenschliche Auseinandersetzung hat auch an dem Werwolf Spuren hinterlassen, auch wenn es nur einer geschafft hat, ihn zu verletzten. Im Schein des Lagerfeuers erkennt die Jägerin, dass sich die Wunde wieder geschlossen hat und der Fluss des Blutes versiegt ist.
Beide schauen sich an. Er immer noch am Feuer hockend, schwer atmend. Sie in gebückter Haltung, mit gezogenem Schwert, den ihr geltenden Angriff erwartend. Doch nichts passiert. Minutenlang verharren sie in ein und derselben Stellung und lassen ihre Augen nicht voneinander. Die Spannung ist fast körperlich fühlbar und dem Zerreißen nahe.
Enigma kämpft mit sich, das wäre die Chance zur Flucht. Aber irgendetwas hält sie davon ab. Während sie ihn weiter beobachtet, schlagen sich die Klauen der linken Hand in den Körper des Ork. Als ob es nur ein leeres Gefäß wäre, wirft er die Leiche vor sich. Kurze Zeit später dringen die langen Zähne in das tote Fleisch. Lange saugt er das Blut auf. Schmatzende und genussvolle Laute entweichen seinem Maul.
Nur seine Augen bleiben weiterhin an seiner Schwester haften. Enigma hat aber genug gesehen, mit angeekelter Mimik dreht sie sich um und will fliehen.
„Bleib!“ Der laute, gefährliche Ruf lässt sie erstarren. Sie erkennt sofort, dass eine Flucht aussichtslos ist. Sie dreht sich wieder zu ihm.
„Willst Du nun auch noch mein Blut trinken, Bruder? Versuch es! Nur wirst Du es mit mir nicht so leicht haben!“
„Bedanken sich die Menschen immer so, wenn man diese befreit?“ Wieder widmet er sich dem blutigen Mahl.
„Das ist keine Befreiung, nur ein entsetzliches Massaker. Die drei hatten nie eine Chance gegen Dich!“
„Stimmt! Aber auch Du nicht! Während ihr vier meiner Spur folgtet, konnte ich unbemerkt einen Bogen schlagen und war seitdem stetig hinter Euch. Ich hatte jederzeit die Möglichkeit, Dich vom Pferd zu holen. Ich bin halt kein Vampir Schwesterherz. Diese Blutsauger können Dir sicherlich nicht entkommen. Nur hast Du noch nie einen Werwolf verfolgt!“
„Hochmut kommt vor dem Fall! Also los, töte mich, das ist es doch was Du willst!“
„Ich habe genug Fleisch und Blut hier, um wieder zu Kräften zu kommen. Da brauch ich Deines vorerst nicht! Aber Du bist eine neue Herausforderung für mich. Und diese Jagd ist nun eine Sache zwischen Dir und mir! Ich werde Dir beweisen, das Werwölfe aus einem anderen Holz geschnitzt sind, als Deine Vampire!“
„Nun merke ich endgültig, das mein Bruder tot ist. Das nun die Entscheidung Dich zu jagen und zu töten, keinerlei Nachdenkens mehr bedarf. Du hast genug Unheil und Leid angerichtet. Los steh auf und kämpfe mit mir! Das endet hier und jetzt!“
Enigma stürmt vor, springt über das Lagerfeuer, aber der Schwertstreich verfehlt das Ziel. Diesen Angriff hat die Bestie erwartet. Er schleudert den toten Körpers des Orks auf die Frau während er sich seitlich abrollt.
Die Jägerin wird voll getroffen. Zusammen fallen sie unweit zu Boden. Ihr ganzer Körper verzieht sich in schmerzvollen Verkrampfungen. Trotzdem schafft sie es, sich von dem Körper zu befreien. Aber noch bevor sie aufstehen kann, ist der Wolf schon über ihr. Seine Augen schießen grelle Blitze auf sie. Blut und Speichel tropfen auf ihr Gesicht.
„Noch nicht Schwesterlein! Ich entscheide, wo wir uns wiedersehen! Du wirst mich schon finden! Ich werde Dich erwarten!“
Enigma glaubte sich dem Ende nahe. Das hatte sie nicht erwartet. Sie liegt immer noch da. Der Wolf ist genauso schnell verschwunden, wie er erschienen war und angegriffen hatte. Sie rappelt sich auf. Langsam versucht sie, ihre etwas lädierten Knochen und Muskeln zu lockern und zu entkrampfen. Schmerzende Wellen schießen dabei durch den ganzen Körper. Aber das ist ihr jetzt egal, sie will nur noch schnell weg von diesem schrecklichen Ort des Massakers. Sie nimmt ihre Waffen auf und verstaut diese an ihrem rechtmäßigen Platz. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verlässt sie mit geschärften Sinnen die Höhle. Am Eingang schaut sie um sich, aber nichts ist von dem Werwolf zu spüren und zu sehen. Er ist weg. Plötzlich erscheint Frost aus dem Wald, und kommt freudig wiehernd auf sie zu. Enigma streichelt seinen Hals, und ist froh, dass ihm nichts passiert ist. Sie steigt mit schmerzverzerrten Gesicht auf und reiten in die Finsternis des Waldes hinein.
Frost hatte sie vor drei Tagen an der Halbmondmühle bei der netten alten Nert zurückgelassen. Ihr Pferd war hier in guten Händen und vor allem in Sicherheit. Zu Fuß würde sie besser dran sein, als mit dem auffälligem Schimmel durch die Gegend zu streifen. Und als Lockvogel wollte sie ihren Liebling bestimmt nicht verlieren. Allein war sie sicherlich schwerer zu entdecken, nach allem was passiert war. Beim Abendessen erzählte ihr die alte Frau Legenden über Hircine, den Gott der Jagd und Erschaffer der Werwölfe. Dieser Gott erschuf sie, aus einem Streit heraus mit seinem Gottesbruder Molag Bal, der die Vampire losließ. Diese Wolfsbestien sollten als Gegenpart zu den Blutsaugern dienen und somit ihren Streit in der Menschenwelt austragen. Tagelang verfolgt die Jägerin nun zu Fuß ihren Bruder. Auch wenn er viele blutige Spuren und entsetzlich verstümmelte Kadaver von Tieren und ahnungslosen Menschen hinterlassen hatte, verlief die Spur wieder im Sand. Dass Enigma dabei ständig im Kreis geführt wurde, ging ihr langsam auf die Nerven.
Immer wieder schaut sie um sich. Mal spürte sie seine Anwesenheit, dann wieder nicht. Als ob er mit ihr ein Spiel treibt. Nachts sucht sie Verstecke auf, welche sie dann mit Fallen regelrecht verbarrikadierte, um sich in Sicherheit zu wägen. Nur ihr Schlaf ist unruhig, bei leisesten Geräusch schreckt sie auf.
Eine Woche vergeht. Enigma bemerkt mehrere Jäger, die sich ebenfalls auf der Fährte des Werwolfs befinden. Zähneknirschend nimmt sie das zur Kenntnis, denn einige Jäger sind aus Falkenring.
„Verdammt, das ist nicht gut. Noch mehr Opfer für meinen Bruder. Wo steckst Du?“ denkt sie wutentbrannt. Sie geht auf eine Gruppe der Jäger zu. Man erkennt sie sofort, und die vier Männer kommen ihr entgegen.
„Nach Euren Gesichtsausdruck zu urteilen, habt Ihr bis jetzt noch kein Glück gehabt! Aber wir auch noch nicht. Im Gegenteil! Drei unserer Freunde waren spurlos verschwunden. Erst am nächsten Tag fanden wir sie, in grauenvollem Zustand!“ Traurig senken alle vier Männer ihre Häupter.
„Wurde Euch nicht gesagt, dass das viel zu gefährlich ist. Bei allen neun Göttern, warum erlaubt das der Jarl!“ Enigma ist sichtlich wütend, ob der Missachtung ihrer Warnung.
„Er macht sich halt Sorgen um Euch. Auch konnte er keine Hilfe aus Dämmerwacht bekommen, weil diese zum endgültigen Schlag gegen die Vampirfeste unterwegs sind. Nur der erblindete Mottenpriester war in der Wacht anwesend! Deshalb schickte er halt erfahrene Jäger los, um Euch zu unterstützen!“
„Ich bitte Euch, geht wieder zurück nach Falkenring. Die Bestie ist in einem wahrem Blutrausch und zerreißt alles, was ihr in die Quere kommt. Habt Ihr nicht die Orte dieser blutig schrecklichen Taten des Werwolfs gesehen. Dem seid Ihr nicht gewachsen. Auch wenn ich Eure Hilfe sehr zu schätzen weiß und es nur gut meint. Bitte, geht wieder zurück! Das ist eine Sache zwischen meinem Bruder und mir! Ich muss es allein tun.“
Ein Khajiit tritt vor.
„Hm! Also gut, ich glaube Ihr habt recht, dass wir dem nicht gewachsen sind. Aber vielleicht ist das eine Hilfe für Euch. Andere Jäger haben berichtet, dass man den Werwolf in der Nähe der Dickbauchhöhle gesichtet hätte. Vielleicht ist es sein Unterschlupf. Wir selbst haben diese Höhle schon oft von außen gesehen. Nur da hinein getraut haben sich nicht viele. Auch ich nicht. Gerüchten zufolge soll niemand diese Grotte lebend verlassen haben, der sie betreten hatte. Hircine, der Gott der Jagd selbst, soll da eine Rolle spielen. Also seid vorsichtig, wenn Ihr in Erwägung ziehen solltet diese zu betreten. Sollen wir dem Jarl etwas von Euch ausrichten?“
„Ja! Er soll aufhören weitere Jäger auszuschicken! Es sind schon genug Leben vernichtet worden. Ob nun Tiere oder Menschen! Und solltet Ihr andere Jäger unterwegs auf dem Rückweg treffen, dann überredet sie ebenfalls zur Aufgabe und zur Rückkehr! Und vielen Dank für den Hinweis und die Warnung betreffs der Höhle!“
„Werden wir machen, werte Thane! Viel Glück und gebt auf Euch acht! Lebt wohl und kommt lebend zurück!“ Nach diesen Worten drehen die Männer um und machen sich auf in Richtung Falkenring.
Kopfschüttelnd blickt Enigma lange den Jägern hinterher. Sie ist sich aber sicher, dass manch ein Jäger nicht darauf hören wird. Man will ja keine schlechten Karten bei ihrem Schwiegervater haben. Aber der Frau wurmt es, dass der Jarl nicht auf sie hört, auch wenn er sich Sorgen um ihr Leben macht. Die Jägerin macht sich daran, die Spur wieder aufzunehmen. Mit gemischten Gefühlen setzt sie die Verfolgung fort. Auch sie hat oft Geschichten über diese Höhle von ihrem Vater gehört. Auch er war nie drin. Wann immer ihr Vater in dieser Gegend war, machte er stets einen großen Bogen um dieses Versteck. Zu unheimlich war für ihn die Dickbauchhöhle.
Plötzlich knackt es neben ihr im dichten Unterholz. Sie blickt schnell in diese Richtung, aber schon springt ihr ein riesiger Schatten entgegen. Reaktionsschnell rollt sie sich seitlich ab. Erst glaubt sie, dass es wieder der Werwolf ist. Aber es ist nur ein Schwarzbär, den sie beim Mittagsschlaf gestört hat. Er richtet sich auf und zeigt seine enorme Größe. Seine kraftvollen, großen Vorderpranken schlagen Luftlöcher, als ob er damit sagen möchte „Verschwinde hier!“ Enigma steht auch auf und geht langsam rückwärts aus dem Angriffsbereich des Bären. Seine Gestik erzielt somit seine Wirkung. Er ist wohl noch zu müde, um den Angriff fortzuführen. Brummend macht er kehrt und geht wieder in das dichte Unterholz zurück. In der Frau schlägt das Herz wahre Paukenschläge. Ihr wird wieder einmal bewusst, dass sich viele Gefahren in den Wäldern rund um ihren Heimatort verbergen und man stets vorsichtig sein muss. So leicht ist die erfahrene Jägerin eigentlich nicht zu erschrecken. Aber das hier sind andere Umstände. Nebensächliche Gedanken oder ablenkende Gefühle sind hier fehl am Platz und können tödlich sein. Ihre Wahrnehmung und Konzentration, ihr Gespür sind nach diesem Vorfall wieder vollkommen hellwach und geschärft. Noch einmal wird ihr das nicht passieren. Das Wetter hat sich gebessert, auch der vom tagelangen Regen durchnässte Untergrund des Waldgebietes trocknet langsam wieder ab. Nach diesen nebligen und regenreichen Tagen ist es eine Wohltat, dass die Wärme der Sonne ihr Gesicht berührt. Und somit wird es ihr auch leichter, die Spur der Bestie wieder aufzunehmen. Sie erreicht einen Hügel am Rande des Waldes. Vor ihr ist wieder die Halbmondmühle zu sehen. Wiedereinmal ist sie im Kreis gelaufen.
„Was hast Du vor Bruder? Das wird doch langsam langweilig!“ Seit dem gestrigen Tag war von ihm nichts mehr zu sehen oder zu spüren, als ob ihn der Wald verschluckt hätte. Dann sieht sie zwei Männer mit Bögen nordwärts an der Mühle vorbeilaufen. Sie kann ahnen wohin ihr Weg führt. Sie schaut in Richtung Horizont. Es ist ein wolkenloser sonniger Tag. Man kann weit in das Land sehen. Die Berge im Norden sind deutlich zu sehen. Dahinter liegt die Dickbauchhöhle.
„Sind diese Jäger dahin unterwegs? Sicherlich! Ich muss denen hinterher und vor ihnen an der Höhle sein!“ Mit sorgenvollen Blick macht sie sich auf den Weg.
Stunden vergehen. Die Abenddämmerung legt sich über das Land. Die Sonne hat sich längst zur Ruhe begeben. Die Jäger haben den Weg durch den Wald am großen See genommen. Ihre Spuren sind deutlich zu sehen. Mit Entsetzen sieht sie auch andere, ihr mittlerweile sehr bekannte Abdrücke. Unnatürlich große Abdrücke eines Wolfes verlaufen seitlich an den Stiefelabdrücken der Jäger entlang. Sie hält plötzlich inne. Das Gespür trügt nicht. Sie blickt um sich. Keine Bewegung, kein Geräusch ist zu hören. Kein Surren der Insekten, kein Pieps eines Vogels. Unheimliches Vibrieren ist in der Luft zu fühlen. Der Werwolf ist in der Nähe. Nur kann sie nicht feststellen, ob er sich vor oder hinter ihr befindet. Sie sucht Deckung in naheliegenden dichten Gebüschen. Ihr Bogen mit den Silberpfeilen ist einsatz- und schussbereit. Aufmerksam nimmt die Jägerin die Umgebung in sich auf. Nur ist nichts zu sehen, keine verräterische Bewegung, die ihren wachsamen Blicken auffällt. Grausame Schreie vor ihr reißen sie aus ihrer Konzentration. Sie springt auf und rennt in diese Richtung. Ungeachtet dessen dass sie sich damit in große Gefahr begibt, weil sie nicht weiß, ob ihr Bruder sie erwartet, versucht sie schnell zum Ort des Angriffs zu gelangen. Dabei muss sie eine große Felsformation umgehen, die ihr den direkten Weg zum Lager der zwei Jäger versperrt. Einige Meter vor dem Lager hält Enigma inne. Die Vorsicht nimmt wieder Vernunft an. Die Deckung der Felsformation nutzend, durchsucht sie die Umgebung des Lagers. Das Lagerfeuer beleuchtet weiträumig die Lichtung. Die Leichen der Jäger werden dabei als groteske bewegliche Schatten auf die Bäume geworfen. Die unheimliche Stille ist bedrückend und trügerisch. Wieder ist nichts von ihrem Bruder zu sehen. Der Jägerin geht dieses blutige Katz und Mausspiel zunehmend an ihre Schmerzgrenze. Entschlossen tritt sie in den Lichtschein des Feuers und sich langsam drehend, schreit sie in den Nachthimmel.
„Zeig Dich Werwolf! Hier bin ich! Komm raus! Ich habe langsam Dein blutiges Spiel satt! Noch zwei Menschen die Du sinnlos ermordet hast! Wann hat das endlich ein Ende!“ Minutenlang tut sich nichts. Keine Antwort, keine Regung, kein Anzeichen dass die Bestie in der Nähe ist. Doch sie fühlt seine Anwesenheit. Enigma fällt auf die Knie und weint. Ihr ist das alles zu viel. Auch wenn der Tod ihr Handwerk ist, aber dieses pure Töten aus Spaß kann und will sie nicht verstehen, geschweige denn weiter mitmachen. Selbst die Vampire sind gnädiger und gönnen den Menschen zeitweise Ruhe vor ihren Angriffen. Aber dieser Werwolf, der ihr Bruder war, verhält sich wie ein tollwütiges Etwas, dem es nur um das blutige Vergnügen geht, und nur darum, sie zu quälen. Das ist ihr mittlerweile klar geworden. Diese Erkenntnis zerreißt sie fast innerlich. Ihr ist es egal, wenn jetzt in diesem Augenblick der Wolf auf sie springt und ihrem Leben ein Ende setzt. Sie erschreckt plötzlich bei dem letzten Gedanken. Ihre Hand berührt unbewusst ihren Bauch. Deutlich kann Enigma den Herzschlag des neuen Lebens spüren. Als ob dieses kleine Wesen sie darauf hinweisen will, dass es auch da ist, dass es hier nicht nur um sie geht. Die werdende Mutter steht langsam auf.
„Danke! Dich hätte ich fast vergessen! Entschuldige bitte! Du hast recht, verzeih mir! Hier geht es nicht nur um mich!“ Zärtlich streicht sie über den Bauch.
„Hier bin ich!“
Muttergefühle verwandeln sich in aggressive Entschlossenheit. Schnell gezückte silberne Wurfmesser verlassen nach der 180 Grad-Drehung ihre Hände, in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ihr Bruder in Bestiengestalt war sprungbereit auf den Felsen erschienen. Ihr Gefühl hat sie nicht enttäuscht. Er war in ihrer Nähe und hatte sie von hoch oben beobachtet. Doch ihre Reaktion war selbst für ihn zu überraschend. Mit bemerkenswerter Präzision schlagen die Messer in seine Schulter ein. Sein Sprung wird unkontrolliert, so dass es für die Werferin keinerlei Schwierigkeiten gibt, sich dem Angriff zu entziehen. Der Aufprall vor dem Lagerfeuer ist hart. Die Landung selbst wird zu einem Problem für den Werwolf. Die Schmerzen in seinen Schultern veranlassen seine Vorderläufe zum Einknicken. Er kann den Sturz in das Feuer nicht mehr verhindern. Der Geruch von angesenktem Fell weht Enigma entgegen während sie ihren Bogen vom Rücken reißt. Mit ohrenbetäubendem Geheul versucht der Werwolf, sich vor dem Feuer in Sicherheit zu bringen. Dabei versucht er die Wurfmesser aus den Schultern zu ziehen.
Die Schmerzen, die diese Waffen ihn bereiten, lassen ihn erkennen, dass Silber ihm schadet und ihm Kräfte entzieht. Ihm wird klar, dass die Jägerin, seine Schwester, Waffen besitzt, die für ihn gefährlich, sogar tödlich sind. Er schafft es mit Mühe sich der Messer zu entledigen. Er kann auch mit erheblichem Glück den abgeschossenen Pfeilen ausweichen. Er flieht. Mit entsetzlichem Knurren und Jaulen springt er in den Wald hinein. Enigma ist immer noch am Schießen. Auch wenn sie ihn nicht mehr sehen kann schickt sie weitere Pfeile in den Wald hinein. Ihr wird mit einem Schlag klar, dass Silberwaffen auch Werwölfen erheblichen Schaden zufügen können, dass auch diese Untiere, genauso wie Vampire, dieses Metall verabscheuen und tödliche Angst davor haben, wie vor geweihtem Wasser.
„Na mein Bruder, das hat Dir wohl Hircine nicht gesagt, dass Euresgleichen genauso verwundbar und sterblich ist, wie jede andere Kreatur dieser Welt! Ich werde Dich finden und töten!“ Sie schreit dieses Versprechen förmlich in den Wald hinein. Dieser Schrei ist wie eine seelische Befreiung für sie. Wieder einmal ist sie einer tödlichen Begegnung mit ihrem Bruder um Haaresbreite entkommen. Die junge Frau erreicht die Stelle, wo der verwundete Wolf sich die Wurfmesser herausgerissen hatte. Aufhörend weiter umsonst Pfeile zu verschwenden, wird der Bogen wieder auf den Rücken geschnallt. Der aufmerksame und wachsame Rundumblick verrät ihr, dass ihr Bruder die Gegend verlassen hat. Sie nimmt ein Tuch aus ihrer Hose, während sie ihre Messer wieder aufnimmt. Sie ist dabei, diese leichten und sehr gut ausgewogenen Wurfwaffen vom Blut zu befreien, als sie innehält. Das vorher rote Blut wird plötzlich tiefschwarz und fällt wie feiner Sand von dem silbernen Metall. Damit wird ihr klar, wie gefährlich das silberne Gift diesen Bestien werden kann. Mit innerlicher Befriedigung steckt sie wieder ihre Messer in die dafür eingearbeiteten Armschienen an ihren Unterarmen, die ein kleines Geschenk aus der Dämmerwacht sind. Leicht knackend rasten die tödlichen, schaftlosen Wurfgeschosse in ihre vorgesehene Lage ein.
Sie bleibt im Schutz des Lagerfeuers, nachdem sie notdürftig die Leichen der zwei Jäger im Wald mit Ästen und Zweigen bedeckt hat. Ihr ist unwohl dabei, die Toten könnten andere wilde gefährliche Tiere heranlocken. Aber die Wärme des Feuer wiegt die Jägerin in Sicherheit. Sie ahnt, dass die Wunden des Werwolfs die Verfolgung einfacher machen werden. Dass diese sich nicht so schnell schließen werden, was die Selbstheilung dieser Bestien eigentlich erledigt. Ihr Geist ergibt sich dem Schlaf, zu sehr hat die letzte Begegnung mit ihrem Bruder an ihren Kräften und ihrer Seele gezerrt. Auch die kaum geschlafenen Nächte zuvor fordern ihren Tribut. Im Unterbewusstsein spürt sie weiches Fell an ihrer Wange. Mit einem Schlag wird sie wach und springt auf. Die Sonne seht schon hoch am hellblauem Himmel. Mittagszeit ist angebrochen. Ziemlich lange hatte sie sich also dem Schlaf ergeben. Sie schaut erschrocken auf das Nachtlager. Schreck wechselt in beruhigtes Lächeln.
Ein kleiner übermütiger Fuchswelpe hatte sich neben sie gelegt und ist ebenfalls eingeschlafen. Vorsichtig geht die Frau in die Knie.
„Hast Du meinen Schlaf bewacht, mein kleiner Held? Wie lieb von Dir!“ Sanft krault sie das kleine Fellknäul am Nacken. Sie hört ein wohliges Schnurren. Mit geschlossenen Augen dreht sich der junge Fuchs auf den Rücken, damit andeutend, dass er auch gern am Bauch gekrault werden möchte. Enigma erfüllt ihm den Gefallen.
„So mein kleiner Bewacher, habe aber keine Zeit mehr, mich weiter mit Dir zu beschäftigen!“
Als ob er das gehört hätte, öffnet er seine Augen und springt auf. Mit wedelnden Schweif rennt er an der Felsformation entlang und ist bald verschwunden. Lange schaut Enigma ihm hinterher. Die Natur kann so schön und friedlich sein aber auch sehr gefährlich. Unbewußt blickt sie zu den zwei mit Ästen und Laub bestückten Hügeln, unter denen die toten Jäger liegen.
„Ich schwöre Euch! Ich werde meinen Bruder zur Verantwortung ziehen! Das kann nicht mehr so weitergehen. Dieses sinnlose Töten wird aufhören! Das verspreche ich Euch!“
Sie macht sich bereit die Verfolgung wieder aufzunehmen. Mit entschlossenem Schritt geht sie in die Richtung, in welche ihr Bruder geflohen ist. Die Spuren seiner Wunden sind deutlich zu sehen. Die winzigen schwarzen Kristalle seines geronnenen Blutes heben sich gut vom Boden ab und glitzern im Sonnenschein. Die Spur führt am großen See entlang. Nach Norden weist die Fährte. Also in die Richtung wo sich auch die Dickbauchhöhle befinden soll.
Die Jäger hatten recht. Das Versteck der Bestie befindet sich hinter dem Eingang zur besagten Höhle. Enigma hat sie nach wenigen Stunden erreicht. Doch irgendetwas hindert sie daran, diese sofort zu betreten. Beklemmende Furcht ist das Hindernis. Sie kann nicht erahnen, was sich hinter dem dunklen Schlund befindet. Nebelschwaden treten aus der Öffnung und tanzen wie Geister im Schein der untergehenden Sonne. Was wird sie darin erleben? Wird ihr Bruder allein sein oder lauern noch mehr grauenhafte Gefahren darin. Oder werden die Legenden wahr und Hircine stellt sich selbst gegen sie? Sich auch noch mit einem Gott anzulegen, nicht auszumalen, wie das ausgehen soll!
Da die Sonne langsam am Horizont untergeht, errichtet sie in der Nähe des Eingangs ihr Nachtlager. Während sie am Feuer sitzt, füllen Speise und Trank ihre Kräfte wieder auf. Dabei schaut sie immer wieder in Richtung Eingang. In stetiger Erwartung, dass der Werwolf sein blutiges Handwerk fortsetzt, legt sie sich nach dem Abendmahl auf die Lauer. An Schlafen denkt sie nicht. Sie hegt die Hoffnung, dass hier am Eingang der Kampf, die Jagd, die Verfolgung, das sinnlose Töten ihr endgültiges Ende finden. Fallen dafür, dass es für den Bruder kein Entrinnen gibt, hat sie zur Genüge ausgelegt. Sollte er aber wieder in die Höhle flüchten, würde Enigma ihm folgen, egal was sie dort erwartet. Das anstrengende Bewachen des Eingangs zur Höhle macht sie aber müde. Es ist weit nach Mitternacht. Und die trügerische Ruhe tut das Übrige. Sie schläft in ihrem Versteck ein. Laute Männerstimmen lassen die Jägerin hochschrecken. Ein Mann ist in eine ihrer Fallen getappt. Sein Jammern ist weit zu hören. Enigma kommt aus ihrem Versteck raus. Drei weitere Männer richten ihre Bögen auf sie. Sie erkennt Michel, Lod und noch einen Mann aus Falkenring. Als man sie erkennt, senken sie ihre Waffen wieder.
„Also Ihr habt hier die Fallen ausgelegt, in welche mein Sohn getappt ist!“
„So ist es, aber was macht Ihr hier? Seid Ihr alle von Sinnen? Habe ich nicht ausrichten lassen, dass man keine weiteren Jäger schicken soll!“ Sie geht zu dem jungen Mann. Mit entschuldigenden und beruhigenden Gesten entfernt sie den hölzernen Pfahl, der sich in den Muskel des Schienbeines gebohrt hatte. Sie versorgt danach die Wunde mit blutstillender und schmerzlindernder Salbe, und legt einen festen Verband an. Der junge Mann bedankt sich bei Ihr. Die Salbe verrichtet ihre wohltuendes Werk. Die Schmerzen lassen ersichtlich nach. Kurze Zeit später kann er wieder aus eigener Kraft aufstehen.
„Wer sollte uns was ausrichten? Der Jarl ist außer sich vor lauter Sorge nach Euch! So hat er ein paar Männer zusammen getrommelt, die den Mut haben, nach Euch zu suchen!“ Lod blickt dabei verwirrt auf die Thane.
„Vor ein paar Tagen traf ich vier Jäger, darunter war ein Khajiit. Ich habe ihn und seine Freunde dazu bewegen können die Jagd abzubrechen und zurückzukehren. Auch sollten sie andere dazu überreden, dasselbe zu tun. Und meinem Schwiegervater auszurichten, dass er keine weiteren Männer aussenden soll, die sich an dieser gefährlichen Verfolgung beteiligen!“ Enigma ist sichtlich aufgebracht. Sie kann es einfach nicht verstehen, dass man ihre Warnungen einfach so in den Wind schlägt.
„Von den vier beschriebenen Männern wissen wir nichts, auch wenn uns Qanaro, der Khajiit sehr gut bekannt ist. Ein sehr guter Jäger! Hervorragender Kenner dieser Gegend! Wir haben ihn und seinen Bruder Ma'Dat aber seit Tagen nicht mehr gesehen! Er und die anderen Begleiter scheinen wohl eigene Wege gegangen zu sein und haben nicht auf Euch gehört!“
„Sind denn nicht schon genug umgekommen? Verdammt nochmal, ein Werwolf ist kein dahergelaufener Säbelzahntiger! Das sind von böser Gotteshand erschaffene Bestien, und keine von der Natur selbst zum Leben erweckten Tiere!“
„Ihr habt ja recht! Nur was sollten wir machen! Euer Schwiegervater weiß auch nicht mehr, was das Richtige ist!“
Plötzlich ist schneller Hufschlag zu hören. Mehrere Reiter nähern sich ihrer Position, darunter auch der Jarl selbst. Die Reitertruppe hält kurz vor der versammelten Runde an und steigt ab. Ihr Schwiegervater befiehlt seinen Soldaten sich in der Gegend zu verteilen und aufzupassen, während er sich Enigma mit seinem Huscal nähert.
„Bei allem Göttern, Dir geht es gut! Die Sorge um Dich macht mich fast wahnsinnig!“ Er will sie in seine Arme schließen, aber die junge Frau entzieht sich wütend der Umarmung.
„Seid Ihr alle noch klar im Geist? Glaubt Ihr wirklich, eine in die Enge getriebene Bestie lässt sich von diesem Aufgebot beeindrucken? Schau Dir doch Deine Männer an, die haben mehr Angst in den Augen als Kampfeswillen! Bei allen Göttern, kehrt um, bevor hier noch Schreckliches passiert! Eure Waffen bringen hier nichts!“ Kopfschüttelnd geht die Frau zu ihrem Lager zurück und legt ihre restlichen Waffen an. Der Jarl ist ihr gefolgt.
„Du gehst mir nicht allein da hinein, dass das klar ist! Das lasse ich nicht zu!“
„Wer will mich aufhalten, hm? Ich beende das hier! Das ist eine Sache zwischen meinem Bruder und mir!“
„Bitte tue es nicht, ich will nicht auch noch Dich verlieren. Denk doch an das Kind in Dir!“
„Wenn Du die Leichen sinnlos getöteter Männer und das abgeschlachtete Wild gesehen hättest, die mein Bruder meinetwegen zurückgelassen hat, würdest Du vielleicht genauso handeln wie ich. Und ja ich denke an das ungeborene Kind! Jeden Augenblick, wo eine gefährliche Situation heraufbeschworen wurde, waren und sind meine Gedanken bei ihm. Aber ich kann nicht damit weiterleben, wenn mein eigen Fleisch und Blut weiter diesem Töten frönt. Für ihn ist es ein Spiel, für mich tödlicher Ernst und seelische Tortur. Und ich habe dieses Spiel meines Bruders satt! Niemand wird mich aufhalten, auch Du nicht, es hier und jetzt, ein für alle mal zu beenden!“ Sie ruft Lod zu sich. Als er bei ihr anlangt, fragt die Jägerin ihn.
„Wie viel Silberwaffen hast Du auf Vorrat?“
„Hm,... einige Schwerter und Sperre, auch einige Bolzen und Pfeile mit Spitzen aus diesem Metall!“
„Was hast Du vor Enigma!“ Der Jarl blickt sie verwirrt an.
„Ich glaube nicht, dass Du diese Männer hier abziehst. So gut kenne ich Dich mittlerweile. Aber wenn sie schon einmal hier sind, dann soll es eben so sein. Ich weiß, dass Du Dich auch nicht zu einer Rückkehr umstimmen lässt. Also habe ich mir nebenbei Gedanken gemacht. Lod wird zurückreiten, Falkenring ist ja nicht weit entfernt. Er soll alle Silberwaffen zusammenpacken und hierher bringen. Dabei sollen auch seine Begleiter und vor allem der verletzte junge Mann zurückkehren. Lod!... Kehre dann so schnell wie möglich zurück!“
„Lod, mein Huscal wird Euch begleiten und Euch helfen! Beeilt Euch!“ Der Jarl gibt seinem Leibwächter letzte Anweisungen.
Lod´s Begleiter helfen dem verwundeten Mann auf das Pferd. Dann steigen sie auf und treiben ihre Pferde zur Eile an. Lod und der Leibwächter des Jarls reiten vor. Enigma schaut ihren Schwiegervater an, der immer noch nicht versteht, was das zu bedeuten hat. Die rothaarige Kriegerin klärt ihn auf.
„Was ich vorhabe? Deine Männer mit dem richtigen Metall bewaffnen. Nur Silberwaffen können Werwölfen ernsthaften Schaden zufügen, sie sogar töten. Aber sie werden nicht mit reingehen, sondern sich vor dem Eingang verbarrikadieren. Falls der Werwolf versucht die Höhle zu verlassen. Dann seid Ihr alle es, die meinem Bruder den Garaus macht, wenn er versuchen sollte zu fliehen oder ich scheitere! Keine Gefangennahme, ihr müsst ihn töten! Das musst Du mir versprechen!“
„Mein Kind, kann ich Dich nicht von dem Vorhaben abbringen, da allein hinein zu gehen!“
„Nein, um nichts auf der Welt! Mein Bruder, oder das was von ihm vielleicht noch übrig ist, wird keiner lebenden Seele mehr ein Leid zufügen. Nie mehr! So wahr ich hier stehe!“
„Also gut ich verspreche es Dir, ich hoffe nur, Du weißt was Du da tust! Auch wenn ich es nicht gutheißen kann, aber ich verstehe Dich vollkommen. Nur verspreche mir genauso, dass Du vorsichtig bist und hoffentlich lebend zurückkehrst! Das ist alles, was ich mir wünsche!“
„Ich werde auf das Kind und mich achtgeben! Das verspreche ich Dir! Aber lass uns die Vorbereitungen treffen bis Lod zurückkehrt!“
Der Jarl ruft seine Männer zusammen. Unter der Anleitung Enigmas gehen alle an die Arbeit. Bäume werden geschlagen und von den Ästen befreit. Gerade Äste werden in spitze Pfähle verwandelt, welche man dann an der mannshohen Barrikade, die im Halbkreis um dem Eingang errichtet wird, anbringt. Vorhandene Seile und Lederriemen werden zu einem Netz geflochten, welches man dann bei Fertigstellung des Bollwerkes über den Eingang und die Barrikade spannen wird. Darin werden auch die silbernen Bolzen eingesetzt und befestigt, sodass eine Flucht nach oben aussichtslos erscheint, wenn die Bestie sich nicht daran verletzen möchte.
Die Arbeit geht schnell und präzise vonstatten. Alle wissen um was es geht. Ein Scheitern soll von vornherein unmöglich sein.
Noch bevor die Sonne untergeht sind der Schmied und der Leibwächter zurück. Vorausschauend hat der Meister des Metalls Silberbarren schmolzen und zu dünnen Blechen verarbeitet. Diese werden schnell an den Spitzen der Pfähle befestigt. Auch die mitgebrachten Bolzen werden wie vorgesehen in das Netz eingearbeitet und befestigt. Kurze Zeit später ist die Barrikade fertig.
Während sich die Soldaten mit den neuen Waffen aussstatten, begutachtet sie zusammen mit Lod und dem Jarl das Bollwerk.
Enigma dankt Lod sehr, ob seiner Voraussicht. Die Falle ist perfekt und bietet den Verteidigern ausreichend Schutz. Auch den Männern des Jarls ist anzusehen, dass ihr Vorhaben den entsprechenden Erfolg verspricht. Mit neuem Mut und entschlossenem Kampfgeist, bereiten sie alles Notwendige für die Nacht vor.
Der nächste Morgen soll also die Entscheidung bringen. Alle sind voll der Hoffnung auf ein erfolgreiches Gelingen. Nach einem ergiebigen und kräftigen Frühstück treffen alle Anwesenden die letzten Vorkehrungen. Seit Tagen konnte sie endlich friedlich, ungestört und ohne Alpträume schlafen. Die letzte Nacht war wie eine Wohltat, die ihre Kräfte vollkommen erholen ließ. Auch wenn sie immer noch nicht das Handeln ihres Schwiegervaters gutheißt, waren die letzten Stunden unter der Sicherheit seiner Männer wie ein Segen der Götter für Enigma. Gestärkt von den neuen Kräftenmacht sie sich fertig für das endgültige Aufeinandertreffen mit ihrem wahnsinnigen Bruder. Schwiegervater Siddgeir schaut ihr dabei zu. An ihm ist zu erkennen wie stolz er auf diese Frau ist. Mit Tränen in den Augen denkt er dabei an seinen getöteten Sohn. Eine bessere Frau hätte dieser nicht heiraten können. Doch wie hart das Leben sein kann, wird ihm mit der Erinnerung an ihn wieder bewusst. Die Sorgen eines Vaters veranlassen Siddgeir dazu, die letzten Versuche zu unternehmen, sie von ihrem Vorhaben des Alleingangs abzuhalten. Doch als seine Blicke sich mit den entschlossenen Augen der Jägerin treffen, gehen die halbherzigen Versuche in Luft auf. Wortlos umarmen sich beide. Kurz darauf hat der dunkle Schlund des Eingangs zur Höhle die Kriegerin aufgenommen. Der Jarl gibt die letzten Befehle. Seine Männer nehmen die vorgesehenen Positionen ein. Das lange Warten beginnt.
Enigma bleibt kurz nach dem Eingang stehen. Der schmale, nach unten führende Weg ist mit Nebelschwaden bedeckt. Entzündete Fackeln beleuchten spärlich den von dunklem Gestein flankierten Abstieg. Sie nimmt die eigenartige Luft und mystische Atmosphäre in sich auf. Langsam beginnt die Jägerin mit schussbereitem Bogen den Weg nach unten zu gehen. Was sie nach der Biegung sieht, lässt sie nur noch staunen. Als ob sie in eine andere Welt eingetaucht wäre, breitet sich vor ihren erstaunten Augen ein nicht zu glaubendes Bild aus. Ein nächtlicher roter Himmel begrüßt die Frau. Sie glaubt es einfach nicht. Wie kann dies sein?Draußen ist die Morgensonne aufgegangen aber hier ist es Nacht. Der große „blutrote“ Mond ist der Verursacher des Erscheinungsbildes des Horizonts. Das Gestirn ist hinter den Bäumen des hoch gelegenen Felsplateaus gut zu sehen. Ein rauschenderWasserfall ist zu ihrer Rechten zu sehen. Raubvögel drehen ihre Kreise am Himmel. Wie groß diese mystische Welt ist, kann sie nicht erkennen. Aber das kann nur ein Gott erschaffen haben. Dieses Mysterium ist nicht real für sie, aber trotzdem steht sie davor, auch wenn sie ihren Augen nicht traut.
Doch dann sieht die rothaarige Kriegerin das Lager vor sich. Schlagartig wird ihr klar, dass diese Welt real ist. Um ein großes Lagerfeuer herumwurden notdürftige kleine Zelte aufgestellt. Der mit Blut bedeckte Boden wird unheimlich von Feuern beleuchtet. Sie hört ein Stöhnen. An einen kleinen Felsen gelehnt, erkennt sie einen schwer verletzten Khajiit, den sie vor Tagen schon getroffen hatte. Das kann nur Qanaro sein. Sie rennt zu ihm und fällt vor ihm auf die Knie.
„Qanaro, seid Ihr es? Bei allen neun Göttern, warum habt Ihr nicht auf mich gehört? Wo sind Eure Begleiter?“
„Ich glaube sie sind alle tot. Auch mein Bruder, der hinter Euch liegt!“ Mit schmerzverzerrter Mimik zeigt er auf die Stellewo sein Familienmitglied liegt. Ihn hat es schwer erwischt. Schwere, immer noch blutende Wunden sind an seinem Unterleib zu erkennen. Er stöhnt auf als Enigma versucht seine verschränkten Arme zu lösen. Jetzt kann sie das volle Ausmaß seiner schweren Verletzungen erkennen.
„Wie ist das passiert, war es mein Bruder?“ Mit geschickten Händen löst sie die blutgetränkten Fetzen seines Lederhemdes von seiner Haut. Die Wunden sind zwar tiefaber nicht lebensgefährlich. Nur der immense Blutverlust macht ihr Sorgen.
„Wir sind schon seit ein paar Tagen hier. Aber nichts haben wir von der Bestie gesehen. Er war wohl nicht hier. Vor zwei Tagen, wir hatten kaum unser Lager hier erreicht, griff der Werwolf unerwartet an. Er kam gerade in die Höhle. Ich konnte erkennen, dass es ihm nicht gut ging. Wir vier waren ihm trotzdem einfach nicht gewachsen. Als Erstes hat es unseren Magier und Heiler Mendrelh erwischt. Er war vorausgegangen, um das Feuer anzufachen. Wir sahen nur noch wie unser Freund an seinem Zelt zu Boden ging. Wir wollten ihm helfen, nur war es schon zu spät. Meinem Bruder Ma'Dat erging es nicht anders. Durash Ugrugdb, eine Ork, wurde als nächste angefallen, sie hatte keine Chance. Ein paar Pfeile von mir haben ihn dabei getroffen. Nur erzielten sie nicht die erwünschte Wirkung. Dann war ich an der Reihe. Das Resultat seht Ihr ja! Ich hätte auf Euch hören sollen. Aber Ihr seid selbst eine hervorragende Jägerinund wisst um die Macht der Jagd, der man sich einfach nicht entziehen kann. Es ist wie eine Sucht. Wir dachten, wir würden es schaffen, wir waren uns zu sicher. Verdammt tut das weh!“
Enigma versorgt mit Verbänden und ihrer bewährten Salbe seine Verletzungen, nur braucht er unbedingt einen Heiler, der sich fachmännisch um seine Wunden kümmern kann.
„Hilfe ist vor der Höhle, nur glaube ich kaum, dass Ihr es ohne weiteres da hinaus schafft. Nur im Moment muss ich mich um meinen Bruder kümmern. Es reicht, noch mehr Tote ertrag ich einfach nicht mehr. Ich muss es beenden!“
„Das kann ich gut nachvollziehen! Ich werde es schon solange aushalten, vorausgesetzt Ihr schafft es, der Bestie ... Eurem Bruder den Garaus zu machen! Aber so wie ich sehe, seid Ihr dazu fest entschlossen!“
Enigma hüllt ihn in Felle und Decken ein, so gut es geht. Danach schaut sie sich im Lager um. Der Ork und dem Heiler ist nicht mehr zu helfen. Der Tod hat schreckliche Arbeit geleistet. Plötzlich hört sie ein leises Geräusch. Es kommt aus der Richtung, wo der Bruder von Qanaro liegt.
Sie geht schnell zu ihm, als sie die Bewegung bemerkt. Aber sie erkennt schnell, dass ihre Hilfe zu spät kommt. Es waren die letzten Atemzüge des jungen Khajiit. Er stirbt in ihren Armen. Mit der rechten Hand verschließt sie seine erstarrten Augen. Am liebsten würde sie losschreien, ihrer innerlichen Wut einfach freien Lauf lassen.
„Ma`Dat, ... Du warst das letzte Opfer meines Bruders, das schwöre ich Dir!“ Mit diesen Worten legt sie den Leichnam ab und breitet eine Decke über ihn. Langsam steht sie auf. Qanaro weint leise. Enigma geht auf ihn zuund tröstet ihn.
„Werte Thane, ein direkter Zweikampf ist zu gefährlich, vor allem wenn er verletzt ist. Ich konnte seine rasende Wut trotz der Wunden, die Ihr ihm wohl zugefügt habt, spüren. Ihr solltet Euren Bogen nehmen und ihn einfach erschießen, aus einer guten Deckung heraus. Das ist die beste Lösung. Einem Zweikampf seid Ihr unterlegen, auch wenn Ihr Euch dazu fähig fühlt. Viel Glück, und beendet es!“ Mit Tränen in den Augen umhüllt ihn die schmerzlindernde Ohnmacht. Vorsichtig bettet Enigma seinen Kopf auf das Fell, das sie ihm unter den Kopf schiebt. Mehr kann sie erst einmal nicht für ihn tun.
Nachdenklich steht sie auf. Die Kriegerin stellt fest, dass der erfahrene Jäger recht hat. Ein verwundetes Raubtier ist noch gefährlicher, wenn es in die Ecke getrieben ist. Die Frau ist in seinem Gebiet. Eine direkte Konfrontation ist aussichtslos, solange sie nicht die Umgebung kennt. Nur hat sie keine Zeit, sich ausreichend in dieser Höhle umzuschauen, ohne zu wissen, wo sich ihr Bruder befindet, wo er auf der Lauer liegt. Vor allem sieht sie nur einen Weg, der in das Herz dieser Welt führt. Sie wird den Ratschlag des Khajiit annehmen. Enigma nimmt den Bogen fest in die Hand, kontrolliert noch einmal die komplett geschmiedeten Silberpfeile. Das helle Metall nimmt die Farbe des Blutmondes an. Ihre Sinne sind geschärft, sie ahnt, dass ihr Bruder sie schon erwartet. Er weiß, dass sie hier ist. Er ist im Vorteil. Sie nähert sich langsam dem Weg. Hockend legt sie zwei Pfeile gleichzeitig auf die Sehne. Sie ist sehr geübt darin, mehrere Pfeile mit einmal abzuschießen. So vorbereitet geht sie langsam am Weg entlang, die Felswand als Deckung nutzend. Sie sieht eine nach links verlaufende Biegung vor sich. Ein Schwarm Fledermäuse, der vor ihr aufsteigt, erschreckt sie nur leicht. Sie hält inne, ist nun kurz vor der Kurve. Enigma spürt ihn. Der Bruder ist ganz in der Nähe. Vorsichtig geht die Frau vor und schaut um die Ecke. Ihr Blick geht an der hohen Felswand hinauf. Hoch oben, den blutroten Mond im Rücken, sieht die Kriegerin den Werwolf in aufrechter Haltung stehen. Er schaut wachsam geradeaus. Seine grellgelben Augen scheinen seine Schwester direkt anzuschauen. Aber er hat sie noch nicht entdeckt.
Enigma nimmt allen Mut zusammen. Sie spannt den Bogen. Sie hebt den Bogen an und zielt in die Richtung, wo ihr Bruder steht. Mit einem kräftigen Sprung seitwärts verlassen die Pfeile die Sehne. Abrollend sieht sie zu ihrem Bruder hinauf. Der Werwolf hat zwar die glitzernden Erscheinungen gesehen und auch den Sprung seiner Schwester, doch zum Ausweichen ist es zu spät. Die Jägerin hat sehr gut gezielt. Die tödlichen Geschosse schlagen mit voller Wucht ein, bohren sich tief in den Oberkörper, und die Spitzen durchschlagen den Rücken. Er heult grausam auf. Die Bestie verliert das Gleichgewicht. Kopfüber stürzt die Bestie den Felsen herunter. Der Aufprall ist dumpf und hart. Enigma legt einen weiteren Pfeil auf die Sehne ihres Bogens. Auf den Kopf zielend bewegt sie sich langsam zum Werwolf. Als er sich bewegt und versucht nach vorn zu kriechen, feuert sie das silberne Gift ab. An der Schulter getroffenbleibt er reglos liegen. Nur seine mit Klauen bestückten Hände graben sich in den Boden des Weges ein. Die Schwester verharrt. Sie fühlt, dass der Tod sich langsam über ihren Bruder legt. Mit schussbereitem Bogen nähert sie sich nun dem vor ihr liegenden Wolf. Von ihm geht keine Gefahr mehr aus. Die Geschosse und der tiefe Fall haben ihren Bruder tödlich verletzt.
„Schwester! ... Enigma! ... Endlich ist es vorbei!“
Sie glaubt ihren Ohren nicht zu trauen. Die ihr so vertraute Stimme ihres geliebten Bruder ist zu hören. Sie lässt den Bogen fallenund fällt vor ihm auf die Knie. Weinend legt sie ihre Arme um den Körper.
„Warum das alles? Wie ist es nur dazu gekommen? Jorgens sag mir bitte, warum Du es getan hast?“
„Ich habe vor Jahren einen Ring gefunden. Dass er mit einem Fluch behaftet war, merkte ich erst, als ich ihn anlegte. Irgendetwas ging in mir vor. Ich versuchte den Ring wieder abzuziehen, aber es gelang mir nicht. Es war auch schon zu spät dafür. Der Werwolf übernahm meinen Geist, meinen Körper. Ich konnte mich nicht mehr dagegen wehren, war nicht mehr ich selbst. Du musst mir glauben, als der Werwolf in mir unsere Familie, Deinen Mann und wen auch immer tötete ... ich habe versucht mich zu widersetzen. Nur es war sinnlos. Die Natur der Bestie war zu jederzeit übermächtig. Es tut mir so schrecklich leid! Das Einzige was blieb, war die Hoffnung, dass Du es schaffst ihn zu vernichten. Dieser Glaube war die letzte Chance meiner Rettung. Auch wenn es meinen Tod bedeutet. Danke liebste Schwester, dass Du mich endlich erlöst hast. Endlich ist dieses grausame Dasein vorbei! Bitte glaub mir, ich wollte es nicht!" Mit diesen Worten werden die gelben Augen schwarz. Er verwandelt sich zurück in den Menschen, zu dem Bruder, den sie kannte und liebte. Sie erblickt am Ringfinger seiner rechten Hand das verfluchte Schmuckstück. Mit der Rückverwandlung zerfällt auch dieses in schwarze winzige Kristalle. Ein Windhauch zerstäubt die letzten Reste dieses Fluchs voller Leid und blutiger Ereignisse.
Schreiend, von Weinkrämpfen gebeutelt, nimmt sie Abschied von dem letzten Mitglied ihrer Familie. Der Trost, dass das blutige und sinnlose Töten endlich vorbei ist, wiegt nicht ihr seelisches Leid und ihren Schmerz auf.
Zuviel hat sie verloren!
- Ende –
- Ende –